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Es ist Zeit. Unter diesem Motto setzen sich europäische Schriftstellerinnen dafür ein, dass eine Frau EU-Kommissionspräsidentin wird. Idee und Wunsch sind, nach all dem Gemauschel und den Machtspielen, bei denen vor allem die Namen von Männern kolportiert wurden, nachvollziehbar. Auch angesichts der Tatsache, dass mehr Frauen als Männer in der Europäischen Union leben, ihre Repräsentation in den Parlamenten und Gremien aber nach wie vor zu wünschen übrig lässt, klingt der offene Aufruf der Schriftstellerinnen wie ein vernünftiger Vorschlag. Eine glühende Europäerin, die mit Umsicht und Autorität, mit Hausverstand und Gewitztheit die eitlen Alphamänner im Europäischen Rat zur Vernunft bringt – das wäre doch einmal etwas.

Die Sache hat nur einen Haken: Auf der Agenda der EU-Regierungschefs ist die Genderfrage ziemlich weit unten angesiedelt. Auch sollten wir im Jahr 2019 gesellschaftlich so weit sein, Kandidatinnen und Kandidaten streng nach ihrer Qualifikation auszuwählen. Schließlich muss es um Inhalte, um Werte und Haltungen gehen. "Hauptsache Frau" ist kein befriedigendes Konzept.

Frage des Anspruchs

Dennoch: Auch 2019 können Frauen auf sichtbare Symbole ihres Anspruchs auf Gleichberechtigung und geteilte Macht nicht verzichten. Es bewirkt nämlich etwas, wenn Frauen, wo auch immer, an der Spitze stehen. Es verändert Weltbilder, Ansichten, es macht Ausnahmen zu Normalitäten. War eine österreichische Bundeskanzlerin bis dato immer eine nette Utopie, auf die sich die großen Volksparteien dann doch nicht einlassen wollten, zeigt Brigitte Bierlein als vom Bundespräsidenten eingesetzte Interimskanzlerin nun das Selbstverständliche: Sie erledigt ihre Arbeit gewissenhaft und mit großer Übersicht. Ihr passierten bis dato keine gröberen Pannen. Und – Überraschung! – die Republik steht immer noch. Plötzlich ist die österreichische Bundeskanzlerin unaufgeregte Realität, und sowieso kann man sich auch gut eine österreichische EU-Kommissarin vorstellen.

Es passieren aber auch Dinge, die man sich eigentlich nicht mehr vorstellen konnte: zum Beispiel, dass bei der Neubesetzung der drei Volksanwaltsposten vor kurzem mit größter Nonchalance drei Männer, altgediente Politiker, zum Zug kamen; dass der österreichische Filmfestivalbeirat ausschließlich mit Männern besetzt wurde; dass bei den jüngsten Museums-Chefbesetzungen, im KHM und im Technischen Museum, mit großer Selbstverständlichkeit die scheidenden Managerinnen durch Manager ersetzt wurden.

Ungünstige Entwicklung

Niemandem soll hier Eignung und Qualifikation abgesprochen werden. Aber es bewegt sich gesellschaftlich etwas in eine für Frauen nicht eben günstige Richtung – und es ist spür- und sichtbar. Übrigens nicht nur in Österreich.

Auch aus diesem Grund wäre eine Kommissionspräsidentin ein wichtiges Signal. Sie wird nicht alles richten können, sie wird genauso an Grenzen des Machbaren stoßen. Aber sie kann ein wichtiges Signal setzen. Sie wird anders auftreten, anders agieren und verhandeln als Männer – sie könnte das Kontrastprogramm zum Egotrip des französischen Präsidenten und den Macho-Allüren des italienischen Vizepremiers Matteo Salvini bilden. Und sie könnte Frauen auf vielfältige Weise fördern. Das würde dann, eines Tages, tatsächlich den wesentlichen Unterschied ausmachen. (Petra Stuiber, 29.6.2019)