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Männer, die in der Öffentlichkeit Händchen halten, sind für viele Menschen nach wie vor eine Provokation.

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Himberg/Wien – Händchenhaltend durch die Stadt gehen, wie viele andere verliebte Paare auch: Für Philipp V. (28) und seinen Verlobten Matthias F. (23)* ist das in Himberg bei Wien nicht ohne unangenehme Zwischenfälle möglich.

Denn statt Zustimmung – oder auch Wurschtigkeit –, wie man sie Mann-Frau-Paaren auf der Straße in der Regel entgegenbringt, werden V. und F. in der rund 7.000 Einwohner zählenden Wiener Speckgürtelgemeinde als erkennbare Schwule geschnitten und beschimpft. "Passanten haben uns ausgelacht. Ein Motorradfahrer hat uns im Vorbeifahren 'Ihr Schwuchteln!' zugerufen, ein Familienvater von einem Spielplatz aus lautstark 'Mir kommt gleich das Speiben!' gebrüllt", zählt V. auf.

Mit Cola-Dose beworfen

Bei einem Besuch in Wien sei eine ähnliche Situation sogar ins Bedrohliche gekippt. "Beim Aussteigen aus der U-Bahn hat uns ein gut gekleideter, stark alkoholisierter Mann verfolgt. Erst hat er uns als Arschlöcher beschimpft. Beim U-Bahn-Ausgang dann hat er uns mit einer Cola-Dose beworfen."

Vorkommnisse wie diese seien Ausdruck von Gewalt und stellten "eine Diskriminierung von Menschen auf offener Straße" dar, sagt der Verkäufer: "Das ist inakzeptabel." Tatsächlich ist der öffentliche Raum für LGBTIQ-Personen – also für Schwule, Lesben und Angehörige anderer sexueller Minderheiten – kein friedlicher Ort.

Beschimpft, lächerlich gemacht

So gaben 28 Prozent der Befragten einer zwischen Dezember 2014 und März 2015 durchgeführten Online-Erhebung der Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche und transgender Lebensweisen (Wast) an, in den letzten zwölf Monaten im öffentlichen Raum Diskriminierungs- oder Gewalterfahrungen gemacht zu haben.

80 Prozent sind "beschimpft", mehr als 70 Prozent "lächerlich gemacht" und rund 20 Prozent "körperlich attackiert" worden. An der Befragung nahmen in der Bundeshauptstadt 3.161 LGBTIQ-Personen teil.

Hemmschwellen gefallen

Das Risiko wiederum, Opfer einer Körperverletzung zu werden, ist für LGBTIQ-Personen in Österreich laut einer 2014 durchgeführten Studie der Gay Cops Austria – einer Gruppe homosexueller Polizistinnen und Polizisten – zehnmal höher als in der übrigen Bevölkerung. Rund fünf Prozent aller LGBTIQ-Personen seien alljährlich von einem solchen folgenreichen Übergriff betroffen.

Homophobe Zwischenfälle gebe es heute öfter als vor 20 Jahren, sagt Wast-Mitarbeiter Wolfgang Wilhelm. Die Gewalt im öffentlichen Raum habe zugenommen, "nicht nur im Ausland, sondern auch in Österreich". Das habe mit den "allgemein gefallenen Hemmschwellen" zu tun.

Folge größerer Sichtbarkeit

Dazu komme der Umstand, "dass sich Lesben und Schwule nicht mehr so verstecken wie in den 1990er-Jahren" – während der Wissensstand über Homosexualität und andere sexuelle Orientierungen in der Bevölkerung "ausbaufähig" sei. Besagter Ausbau sei "nicht zuletzt Aufgabe von Stadtverantwortlichen".

Das meinte in Himberg auch Philipp V., der sich in einem offenen Brief an den dortigen Bürgermeister Ernst Wendl (SPÖ) wandte. "Ich fordere Sie auf, Haltung zu zeigen und sich öffentlich klar gegen Diskriminierung und Homophobie auszusprechen, wie sie derzeit in Himberg stattfinden", schrieb er Anfang Juli.

"Mit Lautsprechern durch den Ort fahren?"

Eine persönliche Antwort erhielt er nicht, doch eine Woche später meldete sich Wendl auf Anfrage der "Niederösterreichischen Nachrichten" zu Wort. Tun könne er nichts, wird der Ortschef in dem Artikel zitiert. Denn: "Ich bin für Toleranz. Aber soll ich jetzt mit Lautsprechern durch den Ort fahren?"

Das wiederum bringt V. in Harnisch: "Die Reaktion des Bürgermeisters ist skandalös, seine Aussage offenbart seine Ignoranz und Verständnislosigkeit", meint er.

Wendl, vom STANDARD befragt, sieht das anders: Er persönlich sei "allen gleichgeschlechtlichen Paaren gegenüber aufgeschlossen". Doch die grassierenden Vorurteile könne man "nur gesellschaftlich beantworten". V.'s Wehrhaftigkeit erklärt Wendl "mit dem anlaufenden niederösterreichischen Gemeinderatswahlkampf". Der 28-Jährige überlege, in Himberg für die KPÖ zu kandidieren. Das bestätigt dieser, doch er fragt: "Was hat das mit den homophoben Übergriffen zu tun?" (Irene Brickner, 17.7.2019)