Antidepressiva weisen im Vergleich zu Psychotherapie, Akupunktur und Sport das größte Nebenwirkungsprofil auf. Deshalb sollte sie "nur als letztes Mittel bei extrem schweren Depressionen und nur, falls alle anderen Behandlungsformen versagt haben, eingesetzt werden", sagt der US-Psychologe Irving Kirsch.

Foto: APA/dpa

Der US-Psychologe Irving Kirsch von der Harvard Medical School steht Antidepressiva skeptisch gegenüber. Ihr Nutzen sei primär vom Placeboeffekt abhängig, das haben zwei Metaanalysen, die er und sein Team im Jahr 2002 und 2008 veröffentlicht haben, ergeben. Konkret lassen sich 82 Prozent der Wirkung von Antidepressiva auch nach der Verabreichung eines Placebos beobachten.

Zu einem ähnlichen Schluss kamen in Deutschland die Ärztin Alicia Baier und der Psychiater Tom Bschor in ihrer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2018. Demnach schneiden Antidepressiva in jeder zweiten klinischen Studie nicht signifikant besser ab als eine Behandlung mit Placebos, meist sind die gemessenen Unterschiede klinisch unbedeutend.

"Wir brauchen neue antidepressive Substanzen, die eine zuverlässige Überlegenheit gegenüber Placebokontrollen zeigen. Bis dahin sollte die geringe Wirksamkeit der Antidepressiva klar benannt werden", betonen die beiden.

Antidepressiva als letztes Mittel der Wahl

Kirsch zufolge macht es auch keinen Unterschied, welches Medikament verabreicht wird. Es gibt Antidepressiva, die den Spiegel des "Glückshormons" Serotonin erhöhen, manche senken ihn, andere haben überhaupt keine Auswirkung auf Serotonin. "Dennoch ist der antidepressive Effekt immer gleich. Wie aber nennt man Interventionen, deren Effekt unabhängig von ihren chemischen Bestandteilen ist? Ich nenne sie Placebos", so der Psychologe.

In einer weiteren Metaanalyse untersuchte Kirsch unterschiedliche Behandlungen gegen Depressionen, inklusive Antidepressiva, Psychotherapie und alternativer Ansätze wie Akupunktur oder Sport. Auch hier ließen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Therapien feststellen.

Sein Fazit: Da Antidepressiva das größte Risiko für unerwünschte Nebenwirkungen aufweisen, "sollten sie nur als letztes Mittel bei extrem schweren Depressionen und nur, falls alle anderen Behandlungsformen versagt haben, eingesetzt werden". (Günther Brandstetter, 30.8.2019)