Die Politikskepsis ist groß unter den jungen Klimaschutzaktivisten. Wählen gehen sie trotzdem – und sie meiden die Großparteien.

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Martha sitzt im Gras und verdreht die Augen. "Es reicht, genug geredet", brummt die 27-Jährige und deutet auf den älteren Mann am Mikrofon, der den versammelten Aktivisten seit einigen Minuten erklärt, dass Öffis besser sind als Autos. Das finden hier sowieso alle. Viele der jungen Klima-Demonstranten, die am Freitag in den Simmeringer Herderpark gekommen sind, finden auch, dass Alte zu viel zu sagen haben, hier und in der Welt. Höchste Zeit, dass Jüngere drankommen. Das versteht nun auch der Mann am unsichtbaren Rednerpult. Er tritt ab, eine Schülerin übernimmt das Mikro. Sie spricht den Aktivisten aus der Seele, wenn sie sagt: "Wir müssen der Politik das Zepter aus der Hand nehmen." Früher habe man über unpolitische Junge geschimpft, die zu wenig täten. Heute tun die Jungen etwas, aber die Alten hören nicht zu. "Wir sind heute hier, um zu zeigen, dass wir es können!" Langer Applaus.

Sicher nicht die Großparteien

Der Ärger trifft nicht nur die Alten, sondern auch die Politik. Die Jungen sorgen sich um die Zukunft und haben das Gefühl, dass an den Hebeln der Macht nur die Sorglosen sitzen. Entsprechend groß ist auch der Frust, was die Nationalratswahl am 29. September betrifft. "Keine Partei überzeugt mich wirklich", sagt die 19-jährige Lara. Viele stimmen ihr zu und sind noch unschlüssig, wen sie wählen sollen. Sie wissen aber genau, wen sie nicht wählen: "Die drei Großparteien sicher nicht", sagt Florian. "Das sind alles eher kapitalistische Parteien." Für ihn kämen nur die Grünen, die Neos und der Wandel infrage. Gar nicht wählen zu gehen, wäre das eine Option? Florian schüttelt den Kopf: Gewählt wird fix. "Die Politik muss die Rahmenbedingungen schaffen – öffentlichen Verkehr, Infrastruktur. Mit individuellen Lösungen kommen wir nicht weiter."

Viele hier stört, dass die Politik in puncto Klimaschutz "nur redet und nichts tut". Auch die Grünen sind vielen in ihren Anliegen zu wenig radikal. Ihre Forderung, die Treibhausgase bis 2030 um 50 Prozent zu verringern, ist Martha zu lasch. "Wir sind ein reiches Land, wir sollten schneller sein als die Länder, die es sich nicht leisten können", ist sie überzeugt.

Viele der Aktivisten sehen das ähnlich, würden sich von den Grünen noch schärfere Kanten wünschen. Trotzdem wäre die Ökopartei hier an diesem Freitag klare Wahlsiegerin. Und nicht nur hier: Bei den Wählern unter 29 waren sie bei der EU-Wahl im Mai die stärkste Partei. Klimaschutz ist in dieser Altersgruppe Wahlmotiv Nummer eins, sagt der Politologe Christoph Hofinger zum STANDARD, "das ist natürlich ein Geschenk für die Grünen".

Klima ist Top-Wahlmotiv

Das Klimathema sei nicht nur wichtig, es stachle die Jungen auch an, zu den Urnen zu gehen: Während bislang die Regel "Je jünger, desto wahlfauler" galt, kehrt sich das bei den Wahlanfängern wieder um: Die Wahlbeteiligung unter den 16- bis 26-Jährigen ist höher als die der Generation darüber. Auch bei den Älteren habe sich etwas verändert. Waren Hitzewellen, Murenabgänge oder Waldbrände einfach losgelöste Phänomene, würden immer mehr Menschen heute einen klaren Bezug zur globalen Erwärmung herstellen. Schon bei der EU-Wahl im Mai war Klimaschutz unter den Top-4-Wahlmotiven. Sollte sich dieser Trend verstärken, dann würde das vor allem den Grünen nützen. Andere Parteien müssten sich vergleichsweise mehr anstrengen, um schlüssig zu erklären, warum sie glaubwürdige Verfechter einer Emissionswende seien, erklärt Hofinger.

Wobei viele der Klimaaktivisten nicht bei nationalen Politikdebatten stehenbleiben: "Das lässt sich alles nur global lösen", meint Lara. "Wir brauchen ein Wirtschaften, das nicht die Erde zerstört", so nennt es Martha. Die Aktivisten sitzen in Kleingruppen im Gras, diskutieren über die Frage, wie sie sich ihre Zukunft vorstellen, nicht immer sind sie sich einig. Eine jüngere Aktivistin ärgert sich, dass sie nicht wählen darf, sie fordert eine Senkung des Wahlalters, andere halten das für übertrieben. Als eine ältere Aktivistin ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle fordert, "damit niemand einen Job annehmen muss, den er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren kann", stimmen viele zu. Gemeinsam träumen sie von Städten, die anders aussehen als heute: bepflanzte Hausmauern allerorten, Verkehr ohne Abgase, Solaranlagen auf den Dächern. Und sie fordern ein Nutellaverbot: "Das wissen ja die wenigsten, dass da ganz viel Palmöl drin ist", erklärt Julia, die das beim Flugblätterverteilen an freien Nachmittagen auch Menschen in der Einkaufsstraße erklärt – "auch wenn sie es gar nicht wissen wollen".

Die Klimabewegung sei, ähnlich der 68er-Bewegung, ein gelebter Generationenkonflikt, sagt Hofinger, nur andersrum: Damals bäumten sich die Jungen gegen das strenge Wertekorsett der Eltern auf. "Heute sind es die Jungen, die von den Eltern einfordern, dass sie sich an bestimmte Werte halten." (Maria Sterkl, 31.8.2019)