Laut dem aktuellen Lagebericht über den Zustand des Bundesheeres werden die Aufgaben für die Landesverteidigung fortlaufend komplexer. Deshalb brauche es Investitionen in Milliardenhöhe.

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Verteidigungsminister Thomas Starlinger warnt seit seinem Amtsantritt vor dem maroden Zustand des Heeres.

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Es sind Dienstagmittag keine Szenarien von einem "vaterländischen Krieg", die Verteidigungsminister Thomas Starlinger durchspielt, um den desaströsen Zustand des Bundesheeres zu erläutern. Vielmehr konzentriert sich das Mitglied der Expertenregierung dabei auf "Schutzoperationen" angesichts moderner Bedrohungen, die gefährdet seien, wenn das Militär auch von der nächsten Regierung nicht mehr Mittel erhält.

Wenn die Republik etwa durch einen Blackout erschüttert werde, wenn es um die Abwehr von Drohnen ginge oder wenn Terroristen danach trachten, der Bevölkerung hohe Verluste zuzufügen, brauche man sich nichts vorzumachen: "Schon derzeit ist ein flächendeckender Schutz der österreichischen Bevölkerung nicht mehr gewährleistet", konstatiert Starlinger. Seinen Befund untermauert er mit einem Lagebericht, der sich auf Expertenwissen im Verteidigungsressort, aber auch auf internationale Vergleiche stützt.

Das 134-seitigen Konvolut empfiehlt eine sofortige Erhöhung des Verteidigungsbudgets, also ab 2020, von derzeit 2,4 auf 3,1 Milliarden sowie eine schrittweise Anhebung auf ein Prozent des BIP bis 2030, also auf dann mehr als fünf Milliarden – derzeit betragen die Verteidigungsausgaben nicht einmal 0,6 Prozent.

Laut Starlinger ebenfalls unabdingbar: Eine unverzügliche Entscheidung über die Ausgestaltung der Luftraumüberwachung, die Türkis-Blau bekanntlich nicht gefällt hat. Bis heute ist unklar, ob es ein Update für die Eurofighter tut oder ob es neue Abfangjäger braucht.

Verteidigungsminister Thomas Starlinger präsentierte den mit Spannung erwarteten Bericht zum Zustand des Bundesheeres. Es geht um eine ziemlich große Finanzierungslücke im Budget des Militärs.
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Die Politik müsse endlich entscheiden, wie viel Souveränität und wie viel Neutralität sie noch gewährleisten wolle, mahnt Stralinger. "24 Stunden, sieben Tage die Woche? Oder nur ein paar Stunden am Tag?" Allein die Luftstreitkräfte bräuchten in den kommenden zehn Jahren zwei Milliarden Euro, mahnt der Minister, da sei ein Update für die Abfangjäger eingerechnet.

Er verstehe jedenfalls nicht, dass man bereit sei, an der Grenze Zäune zu bauen, sagt er – und nur wenige Meter darüber überlasse man den Luftraum sich selbst und sorge nicht gegen mögliche Eindringlinge vor.

Im Detail beziffert sein Bericht einen Investitionsbedarf des Bundesheeres von gar 16,2 Milliarden Euro. Heißt: Dieses Geld bräuchte es noch zusätzlich zu den Regelbudgets, um das Militär bei Ausrüstung, Waffen, Personal und Gerät auf den gewünschten Zustand zu bringen.

Ums Thema Sicherheit geht es auch bei DER STANDARD mitreden, heute um 17.30 Uhr, wenn Liste-Jetzt-Chef Peter Pilz mit Gewaltforscherin Birgitt Haller über die Sicherheitskonzepte der Liste Jetzt diskutiert.
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Um zu verdeutlichen, was passieren wird, wenn das Budget nicht umgehend an die Bedürfnisse angepasst wird, zeichnete der Minister nicht nur mehr oder weniger wahrscheinliche Krisenszenarien, er zeigte auch auf, was jedenfalls passieren wird: Schon im kommenden Jahr müsste die Ausbildung der Grundwehrdiener heruntergefahren werden, erläuterte Christian Kemperle, Co-Autor des Berichts – dann könne man um acht Uhr früh in die Kaserne kommen und Däumchen drehen.

Es gehe ja jetzt bereits die Ausbildungsmunition aus, es fehle ja jetzt schon das Benzin, um etwa einen Truppenübungsplatz anzusteuern. Und die Fahrzeuge sind am Zusammenbrechen: Allein im kommenden Jahr müsse für "allgemeine Mobilität" mit 100 Millionen Euro gerechnet werden, für "geschützte Mobilität" (etwa den Radpanzer Pandur) kämen noch einmal 140 Millionen dazu.

Verantwortungslos und unmoralisch

Scharfe Kritik übte der Minister an den bisherigen politischen Verantwortungsträgern wegen der mangelhaften Schutzausrüstung für die Soldaten: "Ich finde es verantwortungslos und unmoralisch, sie ohne Ausrüstung in Einsätze zu schicken."

Zum Vergleich: Ein Polizeischüler darf erstmals nach 13 Monaten Ausbildung auf Streife mitgehen. Einem sechs Monate ausgebildeten Rekruten verlangt man dagegen ab, bei Nacht und Nebel einen Checkpoint zu betreiben, wenn es etwa um den Schutz der Zufahrt zu Einrichtungen der kritischen Infrastruktur (Kraftwerke, Raffinerien, Telekom-Einrichtungen) geht. Daher plädiert er vehement für die Wiedereinführung des achtmonatigen Grundwehrdienstes. Zudem stellen Starlinger und Generalstabschef Robert Brieger infrage, ob das Bundesheer die beliebten Assistenzen (etwa das Präparieren von Skipisten), aber auch Auslandseinsätze weiterführen kann. (Conrad Seidl, Nina Weißensteiner, 17.9.2019)