Johann Gudenus zielte auf "Investitionen" und traf seine eigene Partei

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Sie plündern Dörfer, verwüsten Landstriche und lassen keinen Stein auf dem anderen: Der Einfall der Vandalen ist ein Schock für Ibiza. 15 Jahrhunderte später sind es wieder Vandalen auf Ibiza, die für Unheil sorgen – diesmal jedoch nicht für die Inselbewohner, sondern für ihre eigene Regierung und ihre eigene Partei. Das 2017 heimlich in einer Finca gedrehte Video des damaligen FPÖ-Obmanns Heinz-Christian Strache und seines Stellvertreters und einstigen Leibfuchses bei der Burschenschaft Vandalia Wien, Johann Gudenus, stellt bei seiner Veröffentlichung am 17. Mai 2019 die Republik auf den Kopf. Strache und Gudenus legen nach Jahrzehnten politischer Arbeit ihre Ämter zurück, Sebastian Kurz beendet die türkis-blaue Koalition. Vorbei ist die Ibiza-Affäre damit aber noch lange nicht.

Wann Ibiza begann, lässt sich schwer festnageln. War es der Moment, als eine befreundete Maklerin dem Ehepaar Gudenus eine "russische Oligarchennichte" vermittelte, die angeblich Grund kaufen möchte und später eine Hauptrolle im Ibiza-Video spielen wird? Oder war es noch viel früher, als eine Gruppe von Detektiven, Anwälten und Security-Mitarbeitern Strache und Co ins Visier nahm? Oder wurde die Saat von Ibiza schon 2008 gestreut, als der FPÖ-Chef seine Kontakte nach Russland intensivierte?

Straches Affinität zu Oligarchen

Fakt ist, dass Straches Affinität zu Oligarchen schon seit Jahren für Aufmerksamkeit sorgt. Regelmäßig reisen er und Vertraute in der FPÖ nach Russland oder in dessen Satellitenstaaten, etwa nach Tschetschenien. Beste Beziehungen pflegt Strache zum Milliardär Konstantin Malofejew, der 2014 in Wien einen rechtsextremen Geheimkongress organisierte. Finanzielle Unterstützung für die Freiheitlichen dementierte Malofejew bislang allerdings. Die Sympathie für die russischen Verhältnisse mündete 2016 in einem Freundschaftsvertrag, den die FPÖ mit der Putin-Partei Einiges Russland unterschrieb. Moskau-Verbindungsmann war schon seit jeher Gudenus, der Russisch spricht.

All das war den Hintermännern des Ibiza-Videos bewusst, als sie Anfang 2017 den Lockvogel in Form einer angeblichen russischen Oligarchennichte losschickten. Sie nahm über den Anwalt M. mit Gudenus Kontakt auf, es folgten gemeinsame Abendessen und schlussendlich im Juli 2017 das gefilmte Treffen auf Ibiza. Zwei Jahre später werden Ausschnitte daraus von Spiegel und Süddeutscher Zeitung publiziert. Sie zeigen eine Korruptionsbereitschaft von Heinz-Christian Strache, die aufgrund einer "Gesetzeslücke", wie es die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) formuliert, nicht strafbar sind.

Doch was geschah dazwischen? Mittlerweile gehen auch Gerichte davon aus, dass das Video mehreren Personen zum Kauf angeboten wurde. Es kam zu Vorführungen in Wien, zu denen ein Potpourri von Persönlichkeiten aus Kunst, Medien und Wirtschaft eingeladen wurde. Schon im Sommer 2018 wurden Bastian Obermayer und Frederik Obermaier, zwei Journalisten der Süddeutschen Zeitung, von Mittelsmännern der Videoproduzenten kontaktiert. Über mehrere Monate gibt es ein Hin und Her, bis Süddeutsche und Spiegel das Video im Mai 2019 endlich erhalten – ohne dafür bezahlt zu haben, wie die beiden Medien glaubhaft beschwören.

Gerüchte blühen

Doch hat jemand anderes dafür bezahlt, dass die Hintermänner das Video an Medien weitergeben? Diese Frage steht nach wie vor im Raum. Innenminister Wolfgang Peschorn spricht von einem der größten Kriminalfälle der Zweiten Republik, präsentierte bislang jedoch keine Ermittlungsergebnisse. In Wien blühen währenddessen die Gerüchte. Kaum eine Partei abseits der FPÖ wurde bislang nicht verdächtigt; Altkanzler Kurz wurden seine öffentlichen Spekulationen über eine Ibiza-Verbindung der SPÖ sogar gerichtlich verboten.

Für die heimischen Ermittlungsbehörden stellt das Video eine Nagelprobe dar. Vor allem für die Justiz, die darauf mit der "schnellsten Weisung" der Geschichte reagierte. Souverän wirkt ihr Gebaren nicht: Am Freitag erscheint das Ibiza-Video, am Samstag ersucht die Oberstaatsanwaltschaft um eine Beischaffung des Videomaterials, am Sonntag äußert sie auf Ö1 "keinen Anfangsverdacht", den die ermittelnde Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft da aber schon hat. Denn tröpferlweise tauchen ominöse Vereine im FPÖ-Umfeld auf, die Straches Behauptung zu belegen scheinen, man könne über Vereinskonstruktionen "am Rechnungshof vorbei" an die Partei spenden.

Mittlerweile wurde ein Behördendreieck geschaffen, um Ibiza zu bewältigen: Die Staatsanwaltschaft Wien soll sich um die Hintermänner und deren womöglich kriminelle Handlungen kümmern, die WKStA um die Inhalte des Videos. Zugearbeitet wird ihnen von der Soko Ibiza, die vom Innenministerium beschickt wird. Alle drei arbeiten unter Hochdruck: Es gab Hausdurchsuchungen bei Anwalt M., aber auch bei Strache und Gudenus. Deren Smartphones werden nun "gemeinsam" ausgewertet, weil sich WKStA und Soko Ibiza nicht vertrauen. Der Geist von Ibiza zeigt auch, welche Gräben das Misstrauen produziert hat. Justiz- und Polizeibehörden verdächtigen sich gegenseitig, parteipolitisch zu agieren. Innenminister Peschorn teilte diese Bedenken zuerst nicht, um dann doch einen Ermittler aus der Soko Ibiza abzuziehen – der hatte zuvor eine aufmunternde SMS an Strache geschrieben.

Während Gerichte auf Anklagen in der Ibiza-Causa noch lange warten dürften, werden sie schon durch zivilrechtliche Klagen beschäftigt. Gudenus erreichte etwa eine einstweilige Verfügung gegen den Anwalt M., der Ibiza-Detektiv H. konnte wiederum der Zeit durch einen Prozess in Berlin die Wiederholung gewisser Behauptungen untersagen – Berufungen dazu laufen, für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Parteispenden im Fokus

Doch auch politisch bleibt Ibiza akut. Das Video wirft die Frage auf, wie sich Parteien finanzieren – was in den vergangenen Monaten vor allem zu Enthüllungen über die ÖVP führte, beispielsweise über ihre Großspender wie Heidi Horten. Das erzählte Strache schon auf Ibiza, wie er auf Facebook süffisant anmerkte. Dennoch schließt die ÖVP eine Fortführung der von Gegnern als "Ibiza-Koalition" bezeichneten Regierung nicht aus – dem Vernehmen nach war der Knackpunkt zwischen Türkis und Blau ja nicht nur der Ibiza-Clip, sondern auch das blaue Innenministerium, das wieder schwarz-türkis werden sollte.

Welchen Einfluss Ibiza kurzfristig auf die heimische Politik hat, ist unklar. 63 Prozent der Österreicher geben laut einer Umfrage von ATV und Peter Hajek an, dass die Affäre keinen Einfluss auf ihr Wahlverhalten habe. Doch Ibiza dürfte größeren Schaden hinterlassen haben, als bislang zu begreifen ist. In der FPÖ rumort es, auch wenn sich die Partei nach außen geeint gibt. Straches Gebaren auf Ibiza hat zahlreiche Mitarbeiter ihre Jobs in Ministerien gekostet, der Zorn konnte nur teilweise auf die ÖVP umgeleitet werden. Gleichzeitig ist Strache im Hintergrund aktiv, ein Antreten bei der Wien-Wahl scheint für ihn fix.

Langfristig wird all das, was unter der Chiffre Ibiza zu verstehen ist, immer wieder auftauchen. Das Ibiza-Video selbst stellt wohl nur einen Teil des Materials dar, das die "Hintermänner" gesammelt haben. Auch auf den Smartphones von Strache und Gudenus dürften noch brisante Dinge gespeichert sein. Ganz zu schweigen vom ibizenkischen Staub, den ein U-Ausschuss zu der Causa in der nächsten Legislaturperiode aufwirbeln dürfte. Der Geist von Ibiza wird jedenfalls weiterspuken. (Fabian Schmid, 21.9.2019)