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Viele Nutzer träumen davon, das Smartphone seltener aufladen zu müssen.

Foto: REUTERS/Dado Ruvic

"Wunderakku": Selten lösen zehn Buchstaben so viel Hoffnung in der Tech-Gemeinschaft aus. Dabei ist bereits seit dem ersten Soloalbum der deutschen Sängerin Nena aus dem Jahr 1989 bekannt: Wunder geschehen, aber man darf trotzdem "nicht alles glauben, was wir sehen".

DER STANDARD – der ja auch manchmal, ganz selten, kaum zu merken, Artikel zu diesem Thema veröffentlicht – hat sich dieses Motto zu Herzen genommen und blickt auf fünf vermeintliche Batteriewunder der jüngeren Vergangenheit zurück. Unterstützung erhält er dabei von Martin Wilkening. Er leitet das Institut für Chemische Technologien von Materialien (ICTM) sowie das Christian-Doppler-Labor für Lithium-Batterien an der TU Graz.

Die Frage aller Fragen lautet jeweils: Ist das Potenzial zum Wunderakku gegeben, oder hat der Hersteller zu dick aufgetragen?

Martin Wilkening leitet das Institut für Chemische Technologien von Materialien sowie das Christian-Doppler-Labor für Lithium-Batterien an der TU Graz.
Foto: TU Graz/Lunghammer

1: 14. August 2019: Samsungs erstes Smartphone mit "Wunderakku" könnte bereits 2020 kommen

Das Prinzip: Diese Meldung machte Mitte August Hoffnung: Laut Insidern könnte Samsung bereits 2020 vom herkömmlichen Lithium-Ionen-Akku abkehren. Für Smartphones sollte künftig Graphen eingesetzt werden. Davon würde man sich deutlich schnellere Ladevorgänge erhoffen. Zusätzlich hätte Graphen eine höhere Speicherdichte. Je höher diese ist, desto länger halten Akkus durch.

Der Experte: "Graphen ist faszinierend ", sagt Wilkening. "Aber ob es das hält, was es für Batterien verspricht, bleibt abzuwarten. Aus meinem Blickwinkel sehe ich es nicht unbedingt als zentrales Material für kommende Energiespeicher". Es sei immer abzuschätzen, ob man dieselben Effekte nicht mit anderen Materialen erreichen könne. Der Experte spricht vor allem die Praktikabilität an. Denn die Herstellung von Graphen sei bisher noch zu teuer gewesen. Daher sei fraglich, ob es bereits für Smartphones tauglich ist. "In meinem Umfeld sehe ich nicht, dass Graphen zurzeit eine überproportionalere Rolle als andere Materialien für Batterien einnimmt".

2: 17. Juni 2019: Akku aus Glas könnte Ära der Lithium-Batterie beenden

Das Prinzip: Dazu muss zunächst in Kurzform erklärt werden, wie eine klassische Lithium-Ionen-Batterie funktioniert. Sie besteht aus Anode (Minuspol) und Kathode (Pluspol). Beim Be- und Entladen werden zwischen diesen beiden Elektroden die Lithiumionen hin- und hergeschickt. Dies ermöglicht eine flüssige Elektrolytlösung, die den Elektronen als Transportmedium zwischen den beiden Polen dient.

Genau hier setzt der sogenannte Glasakku an. Statt der bisher üblichen entflammbaren Flüssigkeiten mit Lithiumsalzen soll dafür ein glasiges Material verwendet werden. Die Entwickler versprechen eine höhere Energiedichte und eine sichere Lithium-Batterie mit hoher Lebensdauer.

Der Experte: "Gläser sind in der Tat fantastische Studienobjekte, um Ionenleitfähigkeiten zu studieren", sagt Wilkening. Zukünftig werden sicherlich viele Geräte mit Gläsern oder Glaskeramiken ausgestattet. Im Fall des propagierten Glasakkus ist der Experte aber misstrauisch: "Das ist, wenn man genauer hinschaut, nichts Besonderes", kommentiert er den glasartigen Elektrolyten aus Lithium, Sauerstoff und Chlor. Denn dieser wird in der besagten Publikation in feuchter Atmosphäre präpariert. "Lithiumchlorid bildet mit Wasser sogenannte fragile Schmelzen, diese sind seit Jahrzehnten bekannt", sagt der Experte.

Solche Batterien würden mit der Zeit degradieren. "Die Batteriegemeinschaft hat sich daher schon von diesem Konzept abgewandt". Es sei nicht nachvollziehbar, wie dieser Elektrolyt die propagierten Aufgaben übernehmen solle. "Es ist schwierig, Naturgesetze zu überwinden".

3: 17. Juni 2019: Was wurde aus dem Lithiumtitanat-Akku?

Das Prinzip: STANDARD-User Hotaro brachte beim obigen Artikel auch den sogenannten Lithiumtitanat-Akku ins Spiel. Vor ein paar Jahren hieß es noch, ihm gehöre die Zukunft, weil er kaum altere und ungefährlich sei. Auf dem Markt durchgesetzt habe er sich aber nicht. Warum nicht?

Experte: Wilkening bestätigt zunächst die Vorteile von Lithiumtitanat, das ein höheres Li-Einlagerungspotenzial als andere Anodenmaterialien hat und somit Elektrolytlösungen nicht zersetzt. Derartige Batterien können über tausende von Zyklen geladen und entladen werden. Doch gebe es zwei große Nachteile: Lithium-Titanat könne bei der Kapazität nicht mit anderen Stoffen mithalten und sei in der Herstellung noch recht teuer. Nichtsdestotrotz sei es bereits im Umlauf. Denn es ist ein stressfreies Material und dehne sich im Gegensatz zu etwa Silizium kaum aus. Deshalb wird Lithiumtitanat gern für Dünnfilmbatterien verwendet. Diese besonders schmalen Exemplare werden dann zum Beispiel in Smart Cards eingesetzt.

4: 21. Juli 2018: Akku mit Silizium soll Elektroautos 1.000 Kilometer fahren lassen

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Ein Tesla 3 Model.
Foto: REUTERS/ PARTH DHEBAR

Das Prinzip: Die Anode soll aus Silizium statt Graphit bestehen. Dies bringe wiederum eine höhere Energiedichte – in Zahlen ausgedrückt: So ein Akku solle dann eine drei bis fünf Mal so hohe Kapazität aufweisen. Smartphones könnten damit tagelang laufen.

Bereits bisher wurde Silizium in Akkus verwendet, allerdings in geringen Mengen. Denn im Rahmen der chemischen Reaktion dehnt sich Silizium im Gegensatz zu Lithium um bis zu 300% aus. Das erschwert die Konstruktion des Akkus. Zudem halte der Stoff dadurch nicht lange durch, was folglich zu schnellem Leistungs- und Energieverlust führe. Nanostrukturiertes Si oder Si-Graphit-Komposite lösen das Problem, aber der Gehalt an Silizium darf nicht zu hoch werden.

Der Experte: "Es ist eine bekannte Idee, die folgerichtig von vielen Batterieherstellern umgesetzt werden wird". Bisher wurde versucht, graphitische Anoden mit Silizium auszustatten. Das führt sofort zu Kapazitätssteigerungen. Will man mehr davon verwenden, müsse man die oben erwähnte Ausdehnung in den Griff bekommen. Entscheidend sei hier auch die Balancierung auf der anderen Seite. Denn die Kathode müsse ja das ganze Lithium bereitstellen, um die volle Kapazität der Anode auszunutzen.

5: 9. September 2019: 40-mal um die Welt: Tesla will mit neuer Batteriezelle Akkus von E-Autos revolutionieren

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Und noch ein Tesla.
Foto: Wade Vandervort/Las Vegas Sun via AP

Das Prinzip: Wenn es um Akkus geht, darf freilich auch nicht Tesla fehlen. Der Elektroautohersteller treibt die Entwicklungen in diesem Bereich voran und hat Anfang September eine Batteriezelle präsentiert, die angeblich eine Lebensdauer von 20 Jahren mit sich bringen solle. Damit könnte ein Elektroauto bei entsprechenden Lade- und Entladevorgängen 40 Mal um die Welt fahren. Ein neuer Elektrolyt und eine neue Kathode sollen für den Durchbruch sorgen.

Der Experte: Wilkening sagt, dass diese Lithium-Ionenbatterie ein perfektes Beispiel für ein hochoptimiertes System darstelle. "Diese Arbeit stammt vom weltweit führenden Batterieexperten Jeff Dahn", sagt er. "Dahn und seine Mitarbeiter haben gezeigt, welches Leistungspotenzial in Lithium-Ionen-Batterien steckt, diese Batterien werden uns in den nächsten Jahren weiterhin begleiten und stetig in Bezug auf Energiedichte und Sicherheit verbessert werden."

Letzterer Satz leitet zum Fazit über. Denn Wilkening glaubt nicht, dass plötzlich jemand mit einem völlig neuen Konzept um die Ecke komme. So eines brauche jahrelange Vorlaufzeit. Deshalb geht der Fachmann davon aus, dass in den nächsten Jahren die Lithium-Ionen-Batterie weiterhin den Ton angeben werde und – mit der einen oder anderen Variante – weiterentwickelt werde: "Alle Konzepte dazu liegen mehr oder weniger vor der Haustür". Wunder hin, Wunder her. (Andreas Gstaltmeyr, 3.11.2019)