Es ist eine ganz und gar banale Feststellung: Menschen, die ins Land kommen, bringen ihr Denken, ihre Überzeugungen mit, das, was sie zu Hause in ihrer Umgebung aufgesogen haben, das, was ihnen eingetrichtert wurde. Und das ist seit ein paar Generationen nicht bei allen, aber doch bei sehr vielen, die in arabischen Staaten aufgewachsen sind, das Gleiche: Der Feind ist nicht nur Israel, das auf einem Teil des den Arabern von den Briten während des Ersten Weltkriegs versprochenen Palästina – diese Version ist nicht ganz historisch, aber was macht das schon? – seinen Staat bekommen hat, sondern die Juden an sich. Haben sie nicht auch schon den Propheten Mohammed bekämpft, der sie dafür schwer bestraft hat?

Die Synagoge in Graz: Für den Syrer, der sie beschmierte, ist das jüdische Gotteshaus vom Staat Israel nicht zu trennen – Antijudaismus, Antisemitismus und Israel-Hass fallen zusammen.
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Damit wissen wir offenbar schon alles: Die Muslime sind religiös bedingt antijüdisch, aber auch im westlichen Sinn antisemitisch (wenngleich es sich im Fall der Araber um Semiten handelt), und daher kommt der Hass auf Israel. Und in der Tat, Islamisten, aber nicht nur sie, entnehmen dem alten europäischen antisemitischen Setzkasten, was ihnen gerade passt. Natürlich besonders gerne diese Sache mit der Weltherrschaft. Woran auch immer, die Juden sind schuld. Das ist Teil der islamischen Kultur.

Eine Momentaufnahme

Ist das so? Wenn "Kultur" eine Momentaufnahme ist, dann vielleicht ja. Wenn man Kultur auch eine historische Tiefe zugesteht, wird es schon wesentlich komplizierter. Das haben wir nicht so gerne, denn da sieht "unsere" Kultur gleich etwas weniger gut aus, gleich aus mehreren Gründen.

Für die enge Verquickung zwischen dem Israel-Hass und dem klassischen Antisemitismus wird immer wieder ein Interview angeführt, das der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser 1958 einem indischen Journalisten gab. Darin empfahl Nasser ihm, die Protokolle der Weisen von Zion zu lesen: Das Buch beweise "ohne jeden Schatten von Zweifel", dass Europa von "300 Zionisten" regiert werde. Die Episode zeigt nicht nur die peinlichen Bildungslücken Nassers, sondern vor allem, welchen Siegeszug die wohl einflussreichste Programmschrift antisemitischen Denkens – eine russische Fälschung – da bereits hinter sich hatte.

Christlicher Import

Ihre Ankunft hatte der Nahe Osten jedoch Rom-treuen Christen zu verdanken: Die Protokolle wurden von einem maronitischen Priester namens Antun Yammin aus einer französischen Fassung ins Arabische übersetzt und 1925 erstmals in Kairo veröffentlicht. Nicht so sehr das Buch selbst, sondern seine Inhalte fanden schnell Widerhall in der Region, so etwa in den Schriften des panislamischen Propagandisten Ra shid Rida (gestorben 1935).

Der Erste Weltkrieg und die Jahre danach bereiteten den Boden für den Nationalismus und dessen religiöse Verbrämung: In den Augen der Araber wurde der osmanische Kolonialismus – der vor dem Aufkommen des Nationalismus jedoch nicht als solcher empfunden wurde – durch einen europäischen ersetzt. Und die nach Palästina einwandernden Juden wurden als europäische Kolonisatoren wahrgenommen. Sie flohen zwar vor Antisemitismus, aber der Masterplan – so lehrten es die Protokolle! – war ja am Ende doch wieder jüdisch.

Rida zog den Schluss, dass sich die Muslime ebenfalls vereinen müssten: "Wenn wir unsere Heimat und die Umma (muslimische Gemeinschaft, Anm.) vor der jüdischen Dominanz durch die moralische Kraft der Religion retten wollen, dann müssen wir den Pfad nehmen, den unsere Vorfahren (die "Salaf" – wie in Salafismus, Anm.) vorzeichneten, als sie die Juden in der ersten Epoche (des Islam) besiegten und von der Arabischen Halbinsel vertrieben." (Zitiert aus Gilbert Achcar, The Arabs and the Holocaust). Eine brutale religiöse Antwort auf eine politische Herausforderung.

"In jeder Phase und an jedem Ort der Verfolgung haben Araber Juden geholfen." Robert Satloff

Die seriöse Forschung ist jedoch einig, dass viel weniger die Religion als vielmehr der Nationalismus für diese Entwicklung des muslimischen Denkens verantwortlich war. Denn trotz der blutigen Auseinandersetzung zu Beginn der islamischen Geschichte hat der Islam nichts, was dem dramatischen christlichen "Die Juden haben Jesus Christus, den Sohn Gottes, getötet" entspräche, das den jahrhundertelangen christlichen Judenverfolgungen zugrunde liegt.

Thomas Bauer, Professor an der Universität Münster und Autor von Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams weist im STANDARD-Gespräch auf die völlig unterschiedlichen Lebensrealitäten für Juden in der früheren christlichen und in der islamischen Welt hin: "Die islamischen Gesellschaften waren immer multireligiös, die Juden waren nur eine von mehreren religiösen Minderheiten, während sie bei uns die einzige andere religiöse Gruppe waren." Es gab Spannungen, es gab auch einzelne Pogrome, aber das war nicht vergleichbar mit der Situation der Juden in Europa.

Rechtlich abgesichert

In seinem Buch bezieht sich Bauer auch auf Mark R. Cohen als den "gegenwärtig wohl besten Kenner des Judentums in der klassischen arabisch-islamischen Welt" (Unter Kreuz und Halbmond. Die Juden im Mittelalter, 1994): In der vorkolonialen islamischen Welt hätten Juden (wie auch Christen) "an allen Orten zu allen Zeiten eine rechtlich abgesicherte Stellung eingenommen, die sie zwar einerseits in einigen Punkten marginalisierte, ihnen andererseits aber sowohl Sicherheit als auch ein beträchtliches Maß an Autonomie brachte".

Die meiste Zeit hat man also ganz gut zusammengelebt. Rassismus in unserem Sinn spielte keine Rolle: Wie denn auch unter "Cousins"? Ältere Araber – wobei diese Generation jetzt am Aussterben ist – erzählen noch die Geschichten der familiären großen Wertschätzung ihrer jüdischen Bekannten.

Es folgte eine Zeit, da war beides vorhanden: der sich auf alle Juden ausweitende Hass auf das entstehende Israel und die alte Normalität. In dem als "Farhud" in die Geschichte eingegangenen Pogrom 1941 in Bagdad gab es jene, die, von Nazi-Propaganda angestachelt, Jagd auf Juden machten und sie töteten. Genauso war jedoch eine Haltung vorhanden, die in den deutschen und österreichischen Städten beim November-Pogrom 1938 fast völlig fehlte: Solidarität und Menschlichkeit.

Besonders in den gemischten Vierteln Bagdads wurden jüdische Häuser von Muslimen verteidigt. "Hunderte Juden wurden durch die Bereitschaft ihrer muslimischen Nachbarn, sie zu beschützen, gerettet", oft auf Kosten von deren eigener Unversehrtheit (Nissim Rejwan: The Jews of Iraq, 1958). "In jeder Phase und an jedem Ort" der Verfolgung – schreibt Robert Satloff, Direktor des Washington Institute for Near East Policy über den Zweiten Weltkrieg in Nordafrika – hätten "Araber Juden geholfen" (in Among the Righteous, 2006).

Der Mufti bei Hitler

1941, das war aber auch das Jahr, in dem der berüchtigte Mufti von Jerusalem, der damals in Deutschland untergeschlupfte Mohammed Amin al-Husseini, von Adolf Hitler empfangen wurde: Diese Begegnung wird oft als einer der Belege dafür angeführt, dass der Kampf der Palästinenser stets ein antisemitischer, religiös antijüdischer war.

Dass arabische Nationalisten mit den Nazis sympathisierten – oder sie zumindest als opportunistische Hoffnung in ihrem antibritischen Kampf ansahen –, ist eine Tatsache. Dass dies eine allgemeine Haltung aller Araber und Muslime präsentiert, ist jedoch ein ebenso opportunistischer Schluss. Er soll alle palästinensischen Aspirationen delegitimieren. Die Literatur dazu ist wirkungsmächtig, wenngleich nicht wissenschaftlich.

Und nein, das alles macht das wüste antijüdische, antisemitische, antiisraelische Gemisch nicht besser, das heute in den Hirnen vieler Muslime wohnt. Und das einige von ihnen, die in Europa Zuflucht gesucht haben, heute hier umsetzen: spontan, wenn sie einen Juden mit Kippa auf der Straße sehen, oder vorsätzlich, wie der Syrer in Graz, der zuerst schmierte und dann attackierte.

Aber wenn man weiß, dass es nicht immer so war, weiß man auch, dass es nicht immer so sein muss. Daran zu erinnern ist auch in manchen arabischen Ländern wieder erlaubt oder sogar politisch erwünscht: zum Beispiel durch die im Ramadan ausgestrahlte TV-Soap über eine (historische) jüdische Hebamme in Kuwait. Das soll die Existenz jüdischer Gemeinden auf der arabischen Seite des Persischen Golfes als Normalität zeigen.

Wenig überraschend wurde Umm Haroun in den Vereinigten Arabischen Emiraten produziert – das vor zwei Wochen bekanntgab, die Beziehungen mit Israel normalisieren zu wollen. Dabei wird das gemeinsame abrahamitische Erbe betont, als versöhnendes, nicht als trennendes Element. Man darf nichts beschönigen und nichts verkitschen: Aber das ist immerhin ein Lichtstreif am Horizont. (Gudrun Harrer, 29.8.2020)