Seit das Flüchtlingslager von Moria auf Lesbos in Schutt und Asche liegt, arbeiten sich die türkis-grünen Koalitionäre moralisch aneinander ab. Doch die jüngsten Höhepunkte dieses Politspektakels zeigen nur auf, wie scheinheilig hier beide Seiten agieren, um Stimmen zu maximieren.

Da fliegt Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) in pseudoheroischer Manier auf die griechische Insel, um am sterilen Flughafen publicityträchtig die von der Regierung beschlossenen Hilfsgüter abzuladen. Keine Fotos und Filmaufnahmen bringt er von den dort obdachlos gewordenen, verzweifelten Menschen im Dreck mit. Zeitgleich zettelt Wiens Vizebürgermeisterin Birgit Hebein, für die Grünen an vorderster Front im Wiener Wahlkampf, eine "Charakter-Diskussion" über Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) an, weil der sich "eiskalt" weigert, Kinder aus Moria aufzunehmen.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) lädt Hilfsgüter auf Lesbos ab.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Sorry, aber: Der Charakter von Kurz gilt seit Jahren als bekannt. Stets hat der machtbewusste ÖVP-Chef alle zu schließenden Fluchtrouten zu Land wie zu Wasser im Auge und damit die Umfragewerte für sich und die Seinen im Blick. Jetzt über seine Wesenszüge zu lamentieren, ist ungefähr so naiv, wie sich zu fragen, warum die Erde eigentlich eine Kugel ist.

Flüchtlingsproblem

Dazu kommt, dass die Grünen zwar ständig betonen, wie sehr sie doch Kinder aus der Hölle von Moria aufnehmen wollen – aber leider, die türkise Riege verunmögliche das. Fakt ist, dass damit auch die Grünen das virulente Flüchtlingsproblem für die hiesige Bevölkerung verniedlichen. Denn auch Frauen und Männer leiden auf Moria – und in Österreich wird von allen Seiten so getan, als würde deren Pein nichts zählen. Doch wer im Gegensatz zum Innenminister in diesen Tagen je einen Fuß in ein überfülltes Flüchtlingscamp an den Rändern Europas gesetzt hat, weiß, dass dort nicht nur liebe Kinder mit großen Augen an einem rütteln und flehen, sie herauszuholen, sondern Menschen jeden Alters – bis hin zum hochbetagten Greis.

Ebenfalls verschämt verschwiegen wird von grüner Seite, dass auch aus unbegleiteten Minderjährigen hierzulande bald Erwachsene werden. Dazu dürfen Jugendliche mit Asylstatus prompt volljährige Verwandte nachholen – zu Recht, denn so lauten auf unserem Kontinent immer noch die Regeln.

Solange sich Österreich daher nicht zu Aufnahmen unabhängig vom Alter bekennt, müssen sich die Grünen auch selbst fragen, von welchen Charakterzügen sie getrieben sind – und sich wie Kurz des Opportunismus schuldig machen. (Nina Weißensteiner, 17.9.2020)