In Sarajevo war Samstagnacht nach der Bekanntgabe dessen, dass Joe Biden die Wahlen laut den großen US-Sendern gewonnen habe, freudiges Hupen zu hören. Šefik Džaferović, der im dreiköpfigen Staatspräsidium sitzt, gratulierte dem künftigen Präsidenten herzlichst und verwies darauf, dass Biden bereits im Bosnienkrieg (1992–1995) als Senator immer auf der Seite Bosnien-Herzegowinas gestanden und gegen die Aggressoren aufgetreten sei.

Nach vier Jahren US-Politik unter Donald Trump auf dem Balkan ist die Nachricht vom Sieg des Demokraten für viele in Südosteuropa eine große Erleichterung – denn nun kann man erwarten, dass es wieder eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA auf dem Balkan geben wird, die unter Trump vollkommen zerstört wurde. Aber nicht nur das: Biden ist eine wichtige Symbolfigur, weil er einer der ganz wenigen US-Politiker war, die von Anfang an verstanden haben, um was es in Bosnien-Herzegowina ging.

Forderung nach US-Militärhilfe für Bosnien-Herzegowina

Im Jahr 1992 bereits – als die Europäer noch tatenlos zusahen, wie Menschen mit muslimischen und katholischen Namen vertrieben, getötet und in Konzentrationslager gesteckt wurden – forderte Biden die Aufhebung des UN-Waffenembargos für Bosnien-Herzegowina, weil dieses den Aggressor begünstige, und er wollte erreichen, dass die USA Bosnien-Herzegowina militärisch gegen die Aggression der Armee der Republika Srpska und die Kriegstreiber in Belgrad unterstützen.

In einem Kommentar in der "New York Times" kritisierte er 1993 deshalb auch die Appeasement-Politik der internationalen Gemeinschaft. 1994 besuchte er das belagerte Sarajevo. 1995 schließlich, nach drei Jahren des politischen Einsatzes, wurde das US-Waffenembargo aufgehoben. Das US-Selbstverteidigungsgesetz für Bosnien-Herzegowina ist auch auf Biden zurückzuführen. Auch die US-Resolution zur Erinnerung an den Völkermord in Srebrenica wurde 2005 von Biden mitgetragen.

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Joe Biden besuchte Sarajevo während des Bosnienkriegs.
Foto: Reuters/Helgren

Biden sprach schon damals von Genozid

In Erinnerung sind auch noch seine flammenden Reden im Senat, als er den damaligen General der Armee der Republika Srpska, Ratko Mladić, einen Kriegsverbrecher und einen Gangster nannte und darauf hinwies, dass ein Genozid im Gange war. Biden forderte auch den damaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milošević auf, im Nachbarland Bosnien-Herzegowina die "brutale Völkermordschlacht" zu beenden.

Kein Wunder also, dass man nun in Sarajevo hoffnungsvoll auf Biden blickt. Der amerikanische Politologe Jasmin Mujanović, der bosnische Wurzeln hat, sieht sogar eine Chance, dass die Verfassung von 1995, das Friedensabkommen von Dayton, nun unter Biden reformiert werden könne, was Experten seit langer Zeit fordern, weil es strukturell Oligarchen und Nationalisten befördert. Der Staat ist zudem nach wie vor – genauso wie in den 1990er-Jahren – durch Sezessionsforderungen von völkischen Nationalisten bedroht. Biden wird in dieser Hinsicht eine klare Sprache sprechen – bereits unter US-Präsident Barack Obama wurden gegen den sezessionistischen Rechtspopulisten Milorad Dodik US-Sanktionen verhängt.

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2009 sprach Joe Biden vor dem bosnischen Parlament.
Foto: Reuters/Sagolj

Wahlkampfaufruf der Diaspora

Mujanović meint, dass sich Washington nun auch wieder für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Region einsetzen werde. Tatsächlich hatte Biden bereits im Wahlkampf bosnische, kosovarische und albanische Diasporagruppen in den USA um Unterstützung für seine Wahl gebeten. Kosovo ist der amerikafreundlichste Staat der Welt, und Biden hat Prishtina zuletzt im Jahr 2016 besucht. Im Kosovo wurde 2016 auch eine Straße nach dem Sohn von Joe Biden, Beau Biden, benannt, nachdem dieser verstorben war.

In dem Wahlkampfbrief an die Diaspora wies Biden darauf hin, ein "bewährter Freund von Bosnien-Herzegowina – seit den dunkelsten Zeiten des Krieges und des Völkermordes bis zu seinem fortgesetzten Kampf um Stabilität und Gerechtigkeit" – zu sein. Ähnliches steht in einem Brief zu Kosovo. Biden führt an, dass er für die Nato-Intervention gewesen sei, die den Krieg serbischer Einheiten gegen die kosovarische Befreiungsarmee im Jahr 1999 beendete. Und er verspricht in dem Schreiben, dass er die unausgewogene Politik der Trump-Administration gegenüber dem Kosovo und Serbien rückgängig machen und mit der EU gemeinsam an einem Abkommen zwischen den beiden Staaten arbeiten werde. Dies erwartet man auch sehnsüchtig in Brüssel und Berlin, denn die letzten Jahre waren davon geprägt gewesen, die völlig erratische und undurchdachte Politik der USA irgendwie einzuhegen.

Keine Gebietstauschdiskussionen

Der Sturz der kosovarischen Regierung unter Albin Kurti im März dieses Jahres, den der Trump-Gesandte Richard Grenell mitzuverantworten hat, ist unter Biden jedenfalls nicht mehr denkbar. Kurti hat im Wahlkampf auch Biden unterstützt, und es ist zu erwarten, dass der Linke nach der nächsten Wahl in Prishtina wieder an die Macht kommt.

Mit dem Ende der Trump-Administration werden nun auch Ideen wie ein Gebietstausch nach ethnischen Kriterien, der ab 2018 diskutiert wurde, nicht mehr auf den Tisch kommen – denn Biden setzte sich immer klar für multikulturelles Zusammenleben in den Staaten in Südosteuropa ein. Sicher ist auch: Am Dienstag wurde in den USA ein Balkanspezialist zum 46. Präsidenten gewählt, der mit Sachkenntnis und politischem Kompass in der Region agieren wird. (Adelheid Wölfl, 10.11.2020)