Der terroristische Anschlag, bei dem in Wien vier Menschen ermordet wurden, war zugleich eine zutiefst symbolträchtige Tragödie auch für die albanische Diaspora. Der Täter und sein erstes Opfer waren beide österreichische Staatsbürger, in Wien aufgewachsen, und beide zugleich Albaner aus Mazedonien, Angehörige der muslimischen Minderheit in jener Republik aus der Konkursmasse Jugoslawien, die seit 2018 Nordmazedonien heißt.

Die Albaner sind eine gespaltene Nation – 2,8 Millionen leben in Albanien, 1,8 Millionen in der Republik Kosovo, über eine halbe Million in Mazedonien, zwischen 30.000 und 40.000 in Montenegro.

Gedenken an die Opfer des terroristischen Anschlags in Wien.
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Es gibt keine verlässlichen Schätzungen über die Größe der fast weltweiten albanischen Diaspora. In der Schweiz zählt man über 200.000 albanischstämmige Einwohner, überwiegend aus dem Kosovo und Nordmazedonien. In Österreich leben laut Auskunft der Kosovo-Botschaft rund 30.000 Kosovaren und 40.000 eingebürgerte Albaner aus der ehemaligen serbischen Provinz. Viele ältere Albaner wurden statistisch als Mazedonier und sogar als Serben erfasst. Die überwiegende Mehrheit sind Muslime, eine starke christliche Minderheit lebt in Albanien.

Gefährliche Randgruppe

Ein besonderes Kapitel bilden die Albaner in Nordmazedonien. Der österreichische Albanologe Robert Pichler wies bereits in einem bahnbrechenden Essay vor fünf Jahren auf die radikalen Züge des "neuen Islams" im Selbstbild der albanischen Muslime in Mazedonien "zwischen nationaler Emanzipation und islamistischer Erneuerung" hin. Für eine gefährliche Randgruppe junger Albaner gilt nicht mehr oder nicht nur der Ruf des Dichters Pashko Vasa aus dem Jahre 1879: "Die Religion des Albaners ist das Albanertum."

Obwohl seit dem Bürgerkrieg 2001 die albanische Minderheit in Nordmazedonien große Fortschritte auf dem Weg zur Gleichberechtigung, sogar zur Beteiligung mehrerer albanischer Parteien in der Regierung erreicht hat, trug die Benachteiligung der Minderheit vor allem unter dem Einfluss der Hassprediger auch zur Entstehung grenzüberschreitender islamistischer Netzwerke von Wien bis Winterthur in Mitteleuropa bei. Bei dem Weg der jungen Albaner vom Ethnonationalismus zu den islamischen Fundamentalisten spielten auch islamische Hilfsorganisationen nach dem Jugoslawienkrieg in Kosovo und Nordmazedonien aus dem arabischen Raum und der Türkei eine wichtige Rolle.

Nichts wäre gefährlicher als die von Rechtsextremisten laut geforderte Kampagne gegen die Muslime in Österreich. Gerade das Beispiel der Radikalisierung der jungen Albaner aus Nordmazedonien und dem Kosovo bestätigt die Warnung der Politologin Nina Scholz in ihrem klugen Gastkommentar (DER STANDARD), dass die Kraft und die Gefährlichkeit der Ideologie des politischen Islams nicht unterschätzt werden dürfen. Die Albaner in Österreich sind übrigens nicht nur heterogen, sondern auch recht erfolgreich. Drei Polizisten, die gegen den Attentäter in Aktion waren, haben kosovarische Wurzeln, und der Besitzer eines der besten Wiener Restaurants ist zum Beispiel ein mit dem Ehrenzeichen der Republik ausgezeichneter albanischer Migrant aus Nordmazedonien, dessen Sohn kürzlich nordmazedonischer Umweltminister geworden ist. (Paul Lendvai, 10.11.2020)