Mit ihren Plänen zum Freitesten aus dem dritten Lockdown sind Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) bei der Opposition abgeblitzt

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Vielleicht ist die türkis-grüne Koalition gar nicht so unglücklich darüber, dass sie ihre Freitest-Ideen für die Woche nach dem 18. Jänner abblasen muss. Denn ein juristisch und epidemiologisch zu Ende gedachter Plan der Regierung war in den vergangenen Tagen nicht wirklich zu erkennen. Politisch wird aber der rot-blau-pinken Opposition die Rolle zuteil, die gesetzliche Grundlage für das Freitesten zu blockieren. Denn gemeinsam haben SPÖ, FPÖ und Neos im Bundesrat eine hauchdünne Mehrheit von 31 zu 30 Stimmen und können Gesetze somit um bis zu acht Wochen verzögern, wodurch die auf den Jänner zugeschnittenen Bestrebungen der Regierung obsolet sind.

Schuldzuweisung mit Umfragen

Das vom grünen Gesundheitsminister Rudolf Anschober für Montagmittag anberaumte Gespräch mit den Parlamentsparteien konnte die ÖVP aber nicht mehr abwarten, um der Opposition die Schuld am Scheitern des Vorhabens umzuhängen.

Bereits am Sonntag preschte die türkise Kommunikationschefin Kristina Rausch mit einem Argumentum ad populum vor: Die Opposition wende sich mit ihrem Veto gegen die breite Bevölkerungsmehrheit, die sich das Freitesten wünsche, empörte sich Rausch. Die von ihr in Anschlag gebrachte Umfrage stammt allerdings von Mitte Dezember – einer Zeit, zu der die konkreten Rahmenbedingungen und ihre ruchbaren Mängel noch gar nicht in der öffentlichen Debatte angekommen waren.

ÖVP-Klubobmann August Wöginger legte Montagfrüh nach: Die Opposition habe sich "geschlossen einbetoniert" und verweigere den "nationalen Schulterschluss", folglich würden Handel, Gastronomie und Tourismus am 18. Jänner nicht öffnen können. Kurz darauf gestand auch Anschober ein: Selbst für negativ getestete Personen bleiben bis zum 24. Jänner die Türen zu, aus dem Freitesten wird nichts.

Anreiz für Massentests fällt weg

Damit entfällt nun auch einer der Hebel, um die Teilnahme an den neuerlichen Massentests zu erhöhen, die großteils am 16. und 17. Jänner stattfinden werden. Hinter der Idee des Freitestens stand nämlich die Unzufriedenheit der Regierung mit der mauen Beteiligung – nicht einmal ein Viertel – an den flächendeckenden Gratistests zum Ende des zweiten harten Lockdowns. Nach dem dritten Lockdown sollte sich das ändern, verschiedene Anreize für das Testen wurden diskutiert, darunter auch finanzielle Belohnungen in Form von Gutscheinen. Die Einigung der Koalition fiel dann aber auf Privilegien für negativ Getestete oder, anders formuliert: Nachteile für Testverweigerer.

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Den Haken daran brachte allerdings die Virologin Elisabeth Puchhammer-Stöckl im "ZiB 2"- Interview auf den Punkt: Ein negatives Ergebnis bei einem Antigentest zeige nur an, dass man ab dem Zeitpunkt des Tests für rund einen Tag nicht ansteckend ist. Danach könne man das Virus freilich munter weiterverbreiten, sofern man infiziert sei. Laut Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hätte ein negatives Ergebnis jedoch für Veranstaltungen, Hotels und den Handel auch noch zwei Tage nach dem Abstrich als Passierschein gegolten, in der Gastronomie gar für eine Spanne von sieben Tagen. Das Freitesten hätte mithin zu lange eine vermeintliche Sicherheit erzeugt, die durch die zeitlich begrenzte Aussagekraft der Tests nicht gedeckt werden kann.

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Infektionszahlen weiter hoch

Auch juristische Fragen rund um die Kontrolle der Testbefunde konnte die Regierung bis zuletzt nicht ausräumen. Sogar innerhalb der sonst so geschlossenen ÖVP gab es widersprüchliche Wortmeldungen dazu, wer denn für die Kontrolle beim Einlass in Geschäfte, Wirtshäuser und Kulturbetriebe zuständig sein soll. Die kurze, viertägige Begutachtungsfrist über Silvester und den Neujahrsfeiertag sorgte für weiteren Ärger bei der Opposition, die Neos orteten eine "Missachtung des Parlaments". Sie beklagten zudem, dass Gesundheitsminister Anschober auf Basis des Gesetzes eine weitreichende Verknüpfung von Corona-Tests mit Freiheiten hätte verordnen können, die über das angekündigte einwöchige Freitesten hinausgeht.

Hinzu kommt, dass das Infektionsgeschehen dieser Tage immer noch beträchtlich ist. "Wenn die Neuinfektionen bis Ende nächster Woche nicht stabil unter 1.000 sind, brauchen wir über Lockerungen erst gar nicht diskutieren", begründete denn auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner ihre Skepsis gegenüber Milderungen des dritten Lockdowns.

Österreich liegt trotz momentan geringer Zahl an durchgeführten Tests bei rund 1.600 täglich registrierten Neuinfektionen. Von der wichtigen Zielgröße einer Sieben-Tage-Inzidenz unter 50 je 100.000 Einwohner ist das Land noch weit entfernt, aktuell sind es 155. Auch die laut neuesten Erkenntnissen wohl ansteckendere Variante des Coronavirus aus Großbritannien dürfte gegen baldige Öffnungsschritte sprechen, denn Experten gehen davon aus, dass die Mutation auch in Österreich schon präsent ist.

ÖVP uneins über Präsenzunterricht

Verwirrung herrscht darüber, ob die Ausdehnung des harten Lockdowns bis 24. Jänner auch die Rückkehr von Schülerinnen und Schülern in den Präsenzunterricht verzögern wird. An sich ist das Thema Schule von der blockierten Gesetzesnovelle nicht betroffen. Laut ÖVP-Klubobmann Wöginger wird der Fernunterricht dennoch um eine Woche verlängert, sein Argument: "Lockdown ist Lockdown." Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) sagte hingegen im Ö1-"Mittagsjournal", er rechne nach wie vor mit einem Start der Präsenzlehre am 18. Jänner. Gesundheitsminister Anschober meinte bei einem Pressestatement lapidar, die Entscheidung über Schulen obliege Faßmann.

Unterdessen sollen die Bundesländer eine permanente Corona-Test-Infrastruktur aufbauen. Darauf verständigten sich die Länderchefs am Montag in einer Videokonferenz mit der Bundesregierung. Diese soll laut Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) für Berufsgruppen gelten, "die sich regelmäßig testen lassen müssen, als Eintrittskarte für Kultur, Tourismus und andere Bereiche und für jene, die sich freiwillig testen wollen". (Theo Anders, 4.1.2021)