Es gibt die Fotos von den Leichenbergen in den KZs. Dann gibt es ein Foto aus Auschwitz, das scheinbar viel harmloser ist, aber einem den Hals zusammenschnürt: eine alte Frau mit drei kleinen Kindern. Inmitten von Stacheldraht stapfen sie so ihrem Schicksal in der Gaskammer entgegen. Ein SS-Mann hat es fürs Album aufgenommen.

Kinder und eine alte Frau auf dem Weg in die Todesbaracke des KZs Auschwitz-Birkenau.
Foto: Bundesarchiv/Wikimedia Commons

Wie kann man sich mit diesen Menschen vergleichen? Als Opfer gleichsetzen? Und doch geschieht es dieser Tage. Corona-"Widerständler" stecken sich gelbe Judensterne mit der Aufschrift "nicht geimpft" oder "nicht getestet" an die Brust. Eine "Jana aus Kassel" vergleicht sich bei einer "Querdenker"-Demo mit der hingerichteten Sophie Scholl. Eine Mutter bringt ihre Elfjährige dazu, sich mit Anne Frank zu vergleichen.

Verblendung. Aber nicht nur. Hinter den Judenstern-Trägern stehen rechtsextreme Kräfte. Da geht es um die Täter-Opfer-Umkehr: Wir sind die wahren Opfer einer "Corona-Diktatur", wir sind "die neuen Juden". Sie triefen vor Selbstmitleid und beben zugleich vor Ressentiment gegen alles, was ihnen nicht passt: Demokratie, Kompromiss, Rationalität. Wir wehren uns ja nur! In abgeschlossenen Internetforen fantasieren sie vom Sturm aufs Parlament, vom Volksaufstand.

Sie sind potenzielle Täter, die sich vorsorglich eine Opferrolle anmaßen. Das sollten – zum Holocaust-Gedenktag – die an sich gutwilligen Mitdemonstrierer bedenken. (Hans Rauscher, 27.1.2021)