Viele Corona-Demonstranten zeigten Zuneigung für die Exekutive, andere griffen auch Beamte tätlich an.

Foto: Robert Newald

Es ist eine ungewöhnliche Vorgangsweise nach einer Demo: Um 21.30 Uhr traten Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und Polizeipräsident Gerhard Pürstl nach der eskalierten "Querdenker"-Demo am Sonntag spontan vor die Medien. In der Pressekonferenz betonte Nehammer, dass man die Angriffe auf Journalisten (darunter auch das STANDARD-Videoteam) sehr ernst nehme, und räumte ein, dass sich die Situation aufgrund mehrerer in der Stadt verteilter Gruppen für die Polizei sehr schwierig gestaltet habe. Die Polizei schätzte die Teilnehmerzahl an der untersagten Versammlung abschließend auf 10.000.

Sturm aufs Parlament

Unter den Demonstranten befanden sich auch Identitäre, Neonazis und Hooligans. Auch aus Deutschland sind offenbar Rechtsextreme eingereist.

Selbst die Stürmung der Parlamentsrampe habe verhindert werden müssen, bestätigte Nehammer. Das seien schon Bilder, die an den Sturm auf das US-Kapitol erinnern. Eine Gruppe von Demonstranten war mit Latten ausgestattet auf die Rampe gelaufen. Insgesamt habe sich ein "verheerendes Bild gezeigt". Ob im Vorfeld Vorkehrungen getroffen wurden, um das Parlament zu schützen, beantwortete die Wiener Polizei am Montag nicht. Im Vorfeld tauchten in einschlägigen Chatgruppen auch Aufrufe auf, die Adresse von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) aufzusuchen. Ob Demonstranten hieran gehindert werden mussten, bleibt jedoch unklar.

"Wir nehmen aus dem Einsatz mit, dass wir uns noch mehr auf die Taktiken der Demonstranten einstellen müssen", sagte Nehammer. Der Polizeieinsatz soll wieder evaluiert werden, damit man sich noch effizienter aufstellen könne.

Er kritisierte FPÖ-Klubchef Herbert Kickl scharf, die Demonstrationen noch ermutigt zu haben. Kickl selbst blieb der untersagten Demo fern. Doch auch FPÖ-Abgeordnete waren bei der Demonstration vertreten, darunter Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch. Die ÖVP fordert deshalb den Rücktritt der FPÖ-Teilnehmer. Die Freiheitlichen beantragen wiederum wegen der Untersagung der Demos eine Sondersitzung im Nationalrat.

Polizeichef Pürstl, der den Einsatz selbst leitete, sagte, man habe die Demo, die um 13 Uhr startete, am Ring spät abends aufgelöst, weil die Demonstranten ihr Versprechen, heimzugehen, nicht gehalten hätten. Noch eine gute Stunde vor dem Auftritt Pürstls und Nehammers zogen Gruppen von Rechten ohne Masken durch die Innenstadt.

Journalisten angezeigt

Es kam allein am Sonntag zu insgesamt 1700 Anzeigen – zum Großteil wegen Verstößen gegen die Covid-Maßnahmen. Ein Demoteilnehmer wurde laut Innenministerium nach dem Verbotsgesetz angezeigt, weil er einen Davidstern als Armschleife trug.

Unter den wegen der Demoteilnahme Angezeigten war auch ein STANDARD-Journalist, der von einem Beamten der Demo zugeordnet wurde – obwohl er hinter zwei Polizeiketten mit Abstand und Maske einen Polizeikessel beobachtete. Ein klärendes Gespräch mit der Landespolizeidirektion wurde in Aussicht gestellt. Auch andere Journalisten berichteten von ähnlichen Vorfällen. Laut Polizei sei das Angebot der eingesetzten Medienkontaktbeamten nur in geringem Ausmaß genutzt worden.

Eike-Clemens Kullmann, Bundesvorsitzender der Journalistengewerkschaft in der GPA, forderte die Polizei am Montag "dringend zum verstärkten Schutz der Kolleginnen und Kollegen" auf, denn der "Protest gegen die Corona-Maßnahmen ufert zunehmend in Aggressivität gegenüber Journalistinnen und Journalisten aus".

Es gab auch elf Festnahmen, darunter Rädelsführer Martin Rutter. Noch bevor dieser freigelassen wurde, war in einschlägigen Chat-Gruppen in Hinblick auf die Justiz von "Rache" die Rede. Es sei "klar, was die Massen von heute tun werden, wenn ein Mann rechtswidrig in der Versenkung verschwindet", heißt es dort etwa.

Kritik und Verteidigung

Nach dem Einsatz ist die Polizei mit Kritik konfrontiert: etwa, weil auf Videos kollegial anmutende Beratungen mit Rutter in puncto Demoführung zu sehen sind oder weil der Demozug zum Teil unbegleitet marschieren konnte.

Diese und ähnliche Fragen beantwortet die Wiener Polizei mit einem allgemeinen Statement: "Die Wiener Polizei hat im Sinne der Verhältnismäßigkeit ein gewaltfreies Auseinandergehen angestrebt. Das Ziel konnte schließlich größtenteils mit dem Dialog gelöst werden. Nichtsdestotrotz gab es ein konsequentes Einschreiten." Jeder Großeinsatz werde evaluiert. Sollte es Verbesserungsmöglichkeiten geben, würden entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Grüne und SPÖ kündigten parlamentarische Anfragen zum Einsatz an. In der Szene wird für die nächste Demo mobilisiert. (Colette M. Schmidt, Vanessa Gaigg, 1.2.2021)