Die georgische Botschafterin Ketevan Tsikhelashvili veröffentlichte das gesamte Schulgebäude auf ihrem Facebook-Profil.

Foto: Facebook-Profil Keti Tsikhelashvili

Die Abschiebung der in Österreich geborenen und aufgewachsenen Tina und ihrer Familie hat für einige Kritik gesorgt. Anwalt Wilfried Embacher sieht das Kindeswohl nicht ausreichend berücksichtigt. Fotos von Tinas neuer Schule in Georgien, die Embacher dem STANDARD am Montag zur Verfügung stellte, sollten dies belegen. Was trotz mehrmaliger Nachfrage vor Veröffentlichung nicht ausreichend geklärt werden konnte und nun nach einer Richtigstellung durch die georgische Botschafterin und ein Video, das dem STANDARD vorliegt, belegt ist: Die Fotos zeigen nur jenen Teil des Schulgebäudes, der baufällig wirkt.

In Georgien reagierte man auf die veröffentlichten Bilder mit Befremden. Das abgebildete Gebäude gehöre zu einer alten Kindergarteninfrastruktur, die nicht mehr in Verwendung sei, schrieb Botschafterin Ketevan Tsikhelashvili in einem Facebook-Beitrag. Dazu postete sie Fotos, die den nicht baufälligen Teil der Schule zeigen – ein starker Gegensatz zu Embachers Bildern. Die Abschiebung sei schmerzlich, die Qualität von georgischen Dorfschulen jedoch hoch, schreibt Tsikhelashvili weiter. "Allerdings ist es nicht mein Ziel, sie mit einem führenden Wiener Gymnasium zu vergleichen."

"Das ändert nicht viel"

Laut Embacher habe ihm die Familie die letztlich irreführenden Fotos zukommen lassen, und er hätte das nicht weiter hinterfragt. "Das ändert aber nicht viel", sagt Embacher. Hätten die Behörden das Kindeswohl ausreichend geprüft, hätten sie feststellen müssen, dass die Schulmöglichkeiten in dem Dorf, in dem Tina jetzt lebt, schlechter seien als in ihrer früheren Schule. Tina besuchte davor ein Gymnasium im ersten Wiener Bezirk. Das Mädchen könne die georgische Sprache weder lesen noch schreiben, so Embacher. Ihre Zukunft sei damit verspielt. "Angesichts dieser Situation hätte die Abschiebung niemals stattfinden dürfen", sagt er.

Als Beweise für die Authentizität der Fotos übermittelte der Anwalt davor ein Foto, auf dem Tina vor jenem Teil der Schule zu sehen ist, und einen Chatverlauf der Mutter. Die Großmutter wurde als Quelle angegeben, da sie in der Schule unterrichte. Am Mittwoch erhielt der STANDARD noch ein Video Tinas, in dem das gesamte Schulgebäude zu sehen ist. Aus Sicherheitsgründen darf das Video nicht veröffentlicht werden.

Wie die Bilder der georgischen Botschafterin zeigen, scheint das Hauptgebäude von Tinas neuer Schule intakt zu sein.

Foto: Facebook-Profil Keti Tsikhelashvili

"Es hätte abermalige Prüfung geben müssen"

Das Innenministerium verweist bezüglich Abschiebung auf ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes von 2019. In diesem wird die Revision der Familie unter anderem mit der Begründung abgewiesen, dass das Kindeswohl ausreichend beurteilt worden sei und "dass eine Rückkehr und Fortführung des Schulbesuchs in Georgien keine unzumutbare Härte" darstelle. Begründet wird dies mit den "angenommenen Kenntnisse der georgischen Sprache, der gemeinsamen Rückkehr im Familienverband, dem mehr als zweijährigen Heimataufenthalt im Alter von vier bis sechs Jahren und dem Bestehen von ausreichenden familiären Anknüpfungspunkten in Form der Großeltern".

"Der Verwaltungsgerichtshof schaut sich immer nur die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts an", sagt Kinderrechtsexpertin Lioba Kasper. Diese letzte negative Entscheidung stammt ebenfalls aus dem Jahr 2019. Eineinhalb Jahre später hätte deshalb unbedingt erneut geprüft werden müssen, ob sich im Privat- und Familienleben von Tina etwas wesentlich geändert habe, womit die Abschiebung auf Dauer unzulässig wäre, meint Kasper. "Gerade bei Kindern, wo sich Änderungen sehr rasch ergeben können, hätte es eine abermalige Prüfung geben müssen", sagt sie. Außerdem hat die Familie 2020 einen Antrag auf humanitäres Bleiberecht gestellt, im Zuge dessen das Kindeswohl ebenfalls hätte geprüft werden müssen. Laut Anwalt Embacher wurde der Antrag bis heute nicht erledigt.

Innenministerium wehrt sich

Im Innenministerium will man diese Kritik nicht gelten lassen. Der Anspruch auf humanitäres Bleiberecht sei auch kurz vor der Abschiebung noch einmal geprüft worden, heißt es auf Anfrage. Warum der anhängige Antrag nicht erledigt wurde, wie diese Prüfung genau ausgesehen hat und warum kein Bescheid über das Ergebnis erteilt wurde, konnte nicht beantwortet werden.

"Das ist natürlich ein Wahnsinn. Wenn eine Prüfung stattgefunden hat, dann hätte auch eine Entscheidung im Verfahren über das humanitäre Bleiberecht erfolgen müssen, sodass die Familie die Möglichkeit gehabt hätte, diese Entscheidung in einem gerichtlichen Verfahren entsprechend überprüfen lassen zu können", sagt Kinderrechtsexpertin Kasper. Ob die Prüfung zu einem für Tina besseren Ergebnis geführt hätte, ist fraglich. (Jan Michael Marchart, Johannes Pucher, 3.2.2021)