Der Esa-Astronaut Luca Parmitano beim Außenbodeneinsatz. Vier bis sechs Personen haben bald die Gelegenheit zu einem solchen Spacewalk.

Foto: ESA

Um seine Chance nicht zu verpassen, programmierte Alexander Gerst seinen Internetbrowser: Sobald die Europäische Weltraumorganisation (Esa) neue Astronauten sucht, soll er eine Benachrichtigung bekommen.

So kam es, dass Gerst einer von 8.413 Bewerbern für die Ausschreibung 2008 war – und 2009 in das Astronautenkorps der Esa aufgenommen wurde. "Ich dachte damals, ich hätte eh keine Chance, die suchen nur Supermänner und -frauen. Aber dann dachte ich, ich bin es meinem 80-jährigen Selbst schuldig, dass ich mich wenigstens beworben habe", erzählte der 44-jährige Astronaut bei einer Online-Pressekonferenz der Esa am Dienstag.

Erstmals seit 13 Jahren rekrutiert die Esa nun vier bis sechs neue Astronautinnen und Astronauten. Sie sollen an der wissenschaftlichen Langzeitmission zur ISS, Mondmissionen im Rahmen des Artemis-Programms oder an Flugmöglichkeiten, die sich mit kommerziellen Partnern wie Space X oder anderen Ländern ergeben könnten, teilnehmen, sagt Josef Aschbacher, derzeit Esa-Direktor für Erdbeobachtungsprogramme sowie Leiter des Europäischen Weltraumforschungsinstituts und ab Juni Esa-Generaldirektor. Die Raumfahrer unterstützen auch bei laufenden Operationen auf der Erde oder wissenschaftlichen Projekten, wenn sie nicht im All sind.

Mehr Diversität

In Zukunft sollen unter ihnen mehr Frauen sein. Bei der letzten Ausschreibung war nur ein Sechstel der Kandidaten weiblich. "Viele Frauen glauben, sie seien nicht gut genug. Aber sicherlich scheitern kann man nur, wenn man sich nicht bewirbt", sagt Samantha Cristoforetti. Sie hat sich bei der letzten Ausschreibung als einzige Frau in dem sechsköpfigen Korps durchgesetzt.

Eine Frauenquote möchte die Esa nicht einführen, sich aber trotzdem diverser aufstellen. Erstmals in ihrer Geschichte sucht sie "Parastronauten" mit körperlichen Behinderungen. Vier Kategorien wurden geschaffen: Beeinträchtigungen unterhalb des Knöchels; solche unterhalb des Knies; starke Längenunterschiede der Beine; eine Körpergröße unter 1,3 Meter. So wolle man auch erfahren, wie weit man die körperlichen Hürden verschieben und wer an einer Mission teilnehmen könne, sagt Rüdiger Seine, Leiter des Astronautentrainings.

"Keiner von uns ist dafür gemacht, in der Schwerelosigkeit zu leben. Da sind wir alle ein bisschen beeinträchtigt und müssen uns an die Umgebung anpassen", sagt Gerst. Menschen mit Behinderung seien resilient und wüssten mit schwierigen Situationen umzugehen. Ihre Perspektive sei wichtig in der Raumfahrt und in einem diversen Team, sagt Gerst.

Teamfähigkeit als Voraussetzung

Ohnehin müssen Astronautinnen und Astronauten gute Nerven mitbringen. Ebenso einen Masterabschluss in Medizin, Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften oder Ingenieurwesen – Fächer, in denen Frauen tendenziell unterrepräsentiert sind. Ein Doktorat oder ein zweites Studium ist kein Muss, kann aber von Vorteil sein, heißt es seitens der Esa. Als Mindestvoraussetzung gilt zudem, dass man unter 50 Jahre alt ist und nach dem Studium drei Jahre Joberfahrung im Fachgebiet gesammelt hat. Ebenso sollte man fließend Englisch und eine zweite Sprache sprechen sowie ein medizinisches Gutachten eines Flugmediziners vorweisen können – eine Pilotenlizenz sei nicht notwendig, aber "nice to have".

"Die Kernqualifikationen, die wir suchen, liegen nicht im akademischen Bereich – das ist die Grundvoraussetzung. Wir suchen Allrounder, keine Spezialisten" sagt Seine. Viel wichtiger seien die Teamfähigkeit in einem multikulturellen und interdisziplinären Umfeld sowie unter hohem Stress konzentriert arbeiten zu können, Neugierde und sich klar ausdrücken zu können und die Meinung der Crewmitglieder wertzuschätzen, auch wenn sie anderer Meinung sind.

Ausbildung im sibirischen Wald

Die spezifischen Fähigkeiten lernen die Astronauten im Training: Zuerst absolvieren sie ein einjähriges Basistraining, anschließend lernen sie etwa, wie man das Raumschiff wartet oder einen Außenbordeinsatz macht. Vor einer konkreten Mission gibt es ein zweijähriges Training. Dabei – und um beim Auswahlverfahren aus der Masse zu stechen – kann es hilfreich sein, bereits Erfahrungen als Analogastronaut zu haben. Diese führen auf der Erde Simulationen oder Experimente unter weltraumähnlichen Bedingungen durch.

Die Ausbildung sei "schon lang und hart, und es gibt in der Vorbereitung Momente, wo man zu zweifeln anfängt", sagt Astronaut Gerst. Etwa als er bei minus 20 Grad Celsius vier Tage ohne Schlafsack oder Zelt im sibirischen Wald überleben musste. "Man muss Spaß an der Arbeit haben, sonst hält man das nicht durch." Zur ISS zu fliegen oder wie Gerst dort Kommandant zu sein entschädige jedoch für diese Momente. (Selina Thaler, 19.2.2021)