Ein Dominostein fällt auf den anderen, scheinbar unaufhaltsam und immer schneller. Die umfallenden Steine bewegen sich auf eine Person zu: Bundeskanzler Sebastian Kurz.

Auf die Hausdurchsuchung beim damaligen Novomatic-Chef Harald Neumann folgte eine bei Ex-Finanzminister Hartwig Löger und Öbag-Chef Thomas Schmid; aus den sichergestellten Smartphones ergaben sich wiederum Verdachtsmomente gegen den amtierenden Finanzminister Gernot Blümel. Parallel dazu führt die Causa rund um den Milliardär Michael Tojner zack, zack, zack zu sichergestellten Geräten beim ehemaligen Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP), nun Höchstrichter, und Sektionschef Christian Pilnacek. Die meisten davon stehen in einem Naheverhältnis zu Bundeskanzler Kurz.

Die Indizien für das "System ÖVP" werden immer erdrückender.
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Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung; entspannen dürfte diese die ÖVP-Politiker, ob beschuldigt oder sonst involviert, aber nicht besonders. Es ist offensichtlich, dass die Ermittler immer näher an den Bundeskanzler gelangen, dessen Name in der Durchsuchungsanordnung gegen Gernot Blümel öfter fällt als der des eigentlich Beschuldigten. Und auf dem Smartphone von Christian Pilnacek könnten sich brisante Chats mit anderen Beamten oder Politikern verbergen.

Die Entwicklungen lassen ein Bild davon entstehen, wie eng die ÖVP mit Wirtschaftsbossen verbandelt war und ist – und wie sie ihre Macht dafür genutzt hat, diesen zu helfen, womöglich weit über den gesetzlichen Rahmen hinaus. Das Naheverhältnis war schon immer vorhanden, wurde unter der Obmannschaft von Sebastian Kurz aber intensiviert. Ein möglicher Grund dafür: Die finanzielle Lage der ÖVP war miserabel, ein teurer Wahlkampf kaum leistbar. Daher warben Kurz und seine Vertrauten früh (beim Brunch) bis spät (beim Dinner) um die Gunst potenzieller Spender. Interne Dokumente, deren Authentizität teilweise bestritten wird, zeigen lange Listen von möglichen Kurz-Unterstützern; manche davon sind mit einem Eurozeichen markiert.

Herzenswünsche

Viele Spender gelangten unter Türkis-Blau in Aufsichtsräte; andere sahen Herzenswünsche bei Gesetzesreformen erfüllt. Stichwort Zwölf-Stunden-Tag: Den wollte nicht nur die finanzstarke Tiroler Adlerrunde, sondern auch der Großspender Stefan Pierer von KTM. Als die SPÖ dessen Steuerdaten publikmachte, schrieb Blümels heutiger Kabinettschef dem damaligen Finanz-Kabinettschef Thomas Schmid, Pilnacek werde in der Causa Pierer "ein Auge drauf" haben.

Die Indizien für das "System ÖVP" werden immer erdrückender. Mit Ausnahme der Regierung Brigitte Bierlein – und selbst da waren Kabinette voll türkiser Vertrauensleute – war die ÖVP dreißig Jahre durchgehend an der Macht. Sie hat Ministerien fein säuberlich ein- und umgefärbt.

Trotz einiger Ausnahmen – man denke an Karl-Heinz Grasser oder Ernst Strasser – fühlte sich die schwarz-türkise Reichshälfte unangreifbar. Die phänomenalen Wahlerfolge von Sebastian Kurz taten ihr Übriges, um diese Hybris zu steigern. Doch jetzt scheint diese fein geölte Maschine Feuer gefangen zu haben. Mittlerweile ermitteln drei Staatsanwaltschaften (Wien, Innsbruck und WKStA) gegen türkise (Ex-)Politiker. Die Opposition ist gegen sie vereint, auch der grüne Koalitionspartner ist zunehmend skeptisch. Türkis könnte bald wieder Schwarz sehen. (Fabian Schmid, 26.2.2021)