Der Donaukanal, wie er selten ist, aber jetzt sein soll: fast menschenleer.

Foto: Christian Fischer

Zwei Polizisten schlendern in der Frühlingssonne. Uniform, Kapperl, Maske, ihr Gang ist lässig, der Blick: eher streng. Es ist Donnerstag. Die Beamten kontrollieren die Einhaltung der neuen FFP2-Masken-Pflicht an belebten Orten der Hauptstadt. Auf ihrem Weg ziehen sie eine Schneise entlang des Donaukanals.

Vor ihnen liegt ein Leben, fast wie früher: Kleine Grüppchen, meist zwei oder drei Leute, sitzen auf dem Boden oder auf Bankerln, rauchen, trinken Kaffee und quatschen. Beinahe alle sind unverhüllt. Hinter ihnen: der Ernst der Pandemie, vollzogene Maßnahmen. Maske auf, ja, jetzt auch draußen. Viele, die von den Beamten ermahnt werden, gehen anschließend nach Hause – oder zumindest woandershin.

Grant hinter Masken

Drei Studenten haben Diskussionsbedarf. Die Regelung gelte an "belebten" Orten, so hätten sie es den Nachrichten entnommen. Die nächste Gruppe aber sitzt unzählige Meter von ihnen entfernt, von "belebt" könne da keine Rede sein. "Wollts uns veroarsch’n?", habe einer der Polizisten darauf geantwortet. Nun tragen die Studenten doch Maske. Sie sind grantig, die Beamten weitergezogen.

Am Donaukanal wurden Banner aufgestellt, die auf die neue Verhüllungspflicht hinweisen. "Es wird schon langsam fad alles", sagt eine Studentin. Auch wenn sie verstehe, dass die Lage ernst ist. Ein paar Meter entfernt beobachtet eine Frau mit Hund, wie die Polizisten zwei Radfahrer aufhalten, die genervt ihre FFP2-Masken hervorkramen. Sie schüttelt den Kopf: "Trotteln." Es ist nicht ganz klar, wen sie meint.

Der Donaukanal wurde in der Gesundheitskrise quasi zur Kampfzone – oder besser: zum Symbol verhärteter Meinungen. Da wären jene, die Menschen, die sich trotz dramatischer Zahlen und überfüllter Intensivstationen eng an eng treffen, für verantwortungslos hält. Die anderen werfen ein, dass man es irgendwann eben einfach nicht mehr aushält; ohne Kontakte, im ewigen Homeoffice – sich im Freien zu treffen, sei da doch noch die beste Option.

Gefahr im Freien größer

Vergangenes Jahr war das so. Da kam mit dem warmen Wetter die Freiheit zurück. Aber gilt das noch? Oder ist draußen Zusammensitzen inzwischen die neue große Gefahr? Der Gesundheitsexperte des Instituts für Höhere Studien, Thomas Czypionka, hat keine guten Nachrichten. Vor allem durch die britische Mutation sei die Möglichkeit, sich im Freien mit Corona zu infizieren, ein gutes Stück gewachsen. Die Virus-Variante ist wesentlich ansteckender. Es brauche weniger Virus, um krank zu werden.

Sitzt man in einer Gruppe eng beieinander, könnten mikroskopisch kleine Tröpfchen, die man beim Reden ausspuckt, in Gesicht, Augen oder Mund eines anderen landen – und schon setzt sich die Infektionskette fort. Auch die winzigen Aerosole, die beim Reden oder Rufen wie eine Wolke um eine Person schweben, würden im Freien eine Rolle spielen, wenn auch keine so große wie in Innenräumen, sagt Czypionka. Diese Wolke, die sich in alle Richtungen ausbreitet, wird mit zunehmender Entfernung schwächer. Doch je mehr Personen auf einem Fleck zusammensitzen – oder wenn auch gesungen oder geschrien wird –, wird sie wieder dichter.

Frage des Abstands

Hans-Peter Hutter, Public-Health-Experte und Umweltmediziner der Medizinischen Universität Wien, betont dennoch: Rausgehen ist wichtig, vor allem auch für junge Menschen – und nicht nur für die körperliche Gesundheit, sondern speziell auch für das Seelenwohl.

"Es bleibt eine Frage des Abstands", betont auch er. Was helfe, sei die FFP2-Maske, wie sie nun in Wien an den Hotspots Donaukanal, Schwedenplatz, Stephansplatz oder Karlsplatz vorgeschrieben ist. "Noch besser wäre es, auch draußen große Gruppen erst gar nicht zu treffen", sagt Czypionka.

Strenge FFP2-Masken-Pflicht, wenn man unter die Leute geht.
Foto: Robert Newald

Die Sehnsucht nach Begegnung ist aber nicht nur ein Phänomen der Jugend – und ganz sicher kein alleiniges Problem der Großstadt. Auch in Niederösterreich und im Burgenland herrscht seit Donnerstag "Osterruhe". Ausgangsbeschränkungen gelten Tag und Nacht, es ist Lockdown – einmal mehr. Oder, wie manche es sehen: Es haben halt die Geschäfte wieder zu.

Was soll schon passieren?

In einer kleinen Ortschaft im Burgenland, im Innenhof eines pannonischen Streckhofs, glüht der Griller. Der Kühlschrank ist gut gefüllt. Die Alternative zu Donaukanal und Park heißt auf dem Land: Gartenparty. Die Gesellschaft weiß eh, dass sie eigentlich nicht sollte. Aber, sagt Ferry, der Hausherr, man sei ja getestet. Zwei der angesagten Gäste "arbeiten sogar in Wiener Neustadt". Die testen dreimal die Woche. Und er, Ferry? Der war vorige Woche. "Glaub ich." Aber draußen im Hof: "Was soll da passieren?"

Die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz – also die Zahl gemeldeter Neuinfektionen pro Woche und 100.000 Einwohner – ist mit 342 derzeit in Wien am höchsten. Im Burgenland beträgt sie 277, der österreichweite Schnitt liegt bei 249. Sich vor Zusammenkünften einem Test zu unterziehen sei natürlich sinnvoll, sagen eigentlich alle Experten. Aber eine Garantie sind Tests eben nicht, dazu eine reine Momentaufnahme.

Vergangenes Jahr blieben die Infektionszahlen nach dem ersten harten Lockdown wochenlang zweistellig. Draußen galt man in den warmen Sommermonaten als sicher. Sogar die Maskenpflicht wurde zwischenzeitlich aufgehoben.

Dreimal höhere Infektionszahlen

Heuer ist die Ausgangslage eine andere. Nicht nur die britische Mutation breitet sich aus, auch die täglichen Infektionszahlen sind derzeit etwa dreimal so hoch wie der Spitzenwert vom Frühjahr 2020 – obschon damals freilich weniger getestet wurde. "Da wir jetzt ein höheres Infektionsniveau haben, könnte der Sommer durchaus schwierig werden", prognostiziert Czypionka.

Aus Sicht des Experten gehe es nun darum, über den Sommer auch jene Menschen mit hoher Kontaktfrequenz so schnell wie möglich zu impfen. "Der Erfolg hierbei steht im unmittelbaren Zusammenhang damit, ob uns das Virus im Herbst wieder davonläuft."

Am Donaukanal waren am Donnerstag überquellende Mistkübel die letzten Zeugen des Treibens der Nacht vor der Osterruhe: leere Weinflaschen, Bierdosen. Ein junger Mann mit buntem Kapperl findet gut, dass die Polizei jetzt viel kontrolliert. Er sei selbstständig, lebe derzeit vom Härtefallfonds. Ein paar Meter weiter schmust ein Pärchen wild in der Sonne. Die Beamten hatten es übersehen. (Katharina Mittelstaedt, Jan Michael Marchart, Wolfgang Weisgram, 3.4.2021)