Bei der Corona-Demo am vergangenen Samstag unterhielt sich ein Mann mit israelischer Fahne mit einem QAnon-Anhänger.

Foto: Markus Sulzbacher

Welche Menschen sich auf den Corona-Demonstrationen in Österreich tummeln und wie sie ticken, wurde hier im STANDARD-Watchblog schon mehrfach beleuchtet. Ein Aspekt ist inhaltlich auffällig: Bei den Demos tauchen immer wieder auch antisemitische Mythen auf.

Es ist mehr als bizarr, wie Demonstranten Juden und Jüdinnen einerseits als angebliche Täter identifizieren und andererseits sich selbst mit Holocaust-Opfern vergleichen. Schon bei den ersten Kundgebungen in Wien waren gelbe "Judensterne" mit der Aufschrift "ungeimpft" in Anlehnung an die NS-Zeit zu sehen. Der Appell der Bundesregierung, möglichst zu Hause zu bleiben, wurde mit der Situation in den 1940er-Jahren gleichgesetzt, in der sich Juden und Jüdinnen verstecken mussten, um ihr Leben zu retten. Auf einer Demonstration trug ein Mann eine Zeichnung mit der Aufschrift "Impfen macht frei", eine Abwandlung des Spruchs, der durch seine Verwendung als Inschrift an den Toren zu den nationalsozialistischen Vernichtungslagern bekannt ist.

Antisemitismus bei der ersten Corona-Demonstration

Bereits bei der ersten Corona-Demonstration in Wien, am 24. April des vergangenen Jahres, hatten Teilnehmer und Teilnehmerinnen die Schuldigen und Hintermänner der Pandemie ausgemacht. Allen, die es hören wollten, erklärte etwa eine ältere Frau geradeheraus, dass die "Israeliten" dafür verantwortlich seien, die so Geld machten und "eine Weltregierung" installieren wollten. Eine andere Demonstrationsteilnehmerin bezeichnete sich und andere als "die Juden, weil wir wieder im Faschismus angelangt" seien. Damals ging "man auf die los", nun seien Bürger wie sie an der Reihe.

Ein Mann hält bei einer Corona-Demo in Wien ein "Impfen macht frei"-Schild.
Foto: Markus Sulzbacher

Für den Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde in Österreich, Oskar Deutsch, ist "die konstruierte Gleichsetzung von Maßnahmen zum Schutz von Menschenleben während einer Pandemie mit dem NS-Massenmord widerlich. Diese Menschen relativieren die Gräueltaten und Einzigartigkeit der Shoah und verhöhnen die Opfer." Für Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) ist die "antisemitische Ausprägung in Teilen von 'Corona-Verschwörungstheoretikern' beziehungsweise der Anti-Corona-Protestbewegung immer offensichtlicher", wie er in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage schreibt.

Angezogen von einer wirren Erzählung

Bei den Demonstrationen in Wien sind auch immer wieder QAnon-Fahnen zu sehen. Ihre Anhänger werden von einer wirren Erzählung angezogen, die Menschen aktiviert und fanatisiert, da sie gleich zahlreiche Verschwörungsmythen verknüpft. Deren Kern sind haltlose und unbelegbare Vermutungen über einen "tiefen Staat", in dem in der Öffentlichkeit stehende Personen, Linke und Reiche die Geschicke der Welt steuern würden. Dabei wird immer wieder die Rolle von Juden und Jüdinnen besonders betont.

Demnach würden Politiker und Politikerinnen und Hollywoodstars Kinder in unterirdischen Anlagen foltern und missbrauchen, um ein "Verjüngungselixier" namens "Adrenochrom" zu gewinnen. Adrenochrom gibt es als Stoffwechselprodukt wirklich, einen gewissen Mythenstatus erlangte es als Droge durch das in den 1970ern erschienene Buch "Fear and Loathing in Las Vegas". Allerdings kann die Verbindung im Labor hergestellt werden, und sie bewirkt auch keine Verjüngung. Zudem wird bei QAnon angenommen, dass Mitglieder einer Elite das Blut von Kindern trinken würden. Dies ist ein seit Jahrhunderten verbreitetes antisemitisches Motiv. Die QAnon-Anhänger haben diesen Mythos einer neuen Generation weitergegeben. Der "Messias" der Bewegung ist der ehemalige US-Präsident Donald Trump, der gegen diese Eliten und den vorgeblichen "Deep State" kämpfe. Personen mit "Trump 2020"-Baseballkappen und -Fahnen waren auch auf Demonstrationen in Österreich zu finden.

Antisemitismus wird in Abrede gestellt

In den Telegram-Channels und auf den Facebook-Seiten von Corona-Demonstrierenden wird der Antisemitismus auf den Demonstrationen jedoch in Abrede gestellt. In Reden auf Demonstrationen betonen Aktivisten allenthalben ihre "pro-semitische" Einstellung. Im Netz wird immer wieder ins Treffen geführt, dass es auch Juden und Jüdinnen gebe, die gegen die Maßnahmen der Regierung demonstrieren und gegen Impfungen seien. Meist wird dann ein Mann erwähnt, der mit Kippa und Israel-Fahne bei den Demonstrationen in Wien regelmäßig dabei ist. Der aus der FPÖ 2015 ausgeschlossene ehemalige Regionalpolitiker steht dabei schon einmal in unmittelbarer Nähe von Neonazis und QAnon-Anhängern und -Anhängerinnen. Sein Auftreten wird von vielen Propagandisten der Szene begrüßt. "Ist das auch ein Antisemit?", wird rhetorisch gefragt.

Ein Mann trägt einen sogenannten Judenstern bei einer Demo in Wien.
Foto: Markus Sulzbacher

Träger von Judensternen oder Schildern mit Slogans wie "Sebastian Kurz ist George Soros' Jüngling" werden auf den Demonstrationen toleriert. So wie viele Teilnehmer und Teilnehmerinnen kein Problem damit haben, mit Identitären, Hooligans oder anderen organisierten Rechtsextremen durch Wien zu ziehen. "Mir ist egal, wer demonstriert. Hauptsache er demonstriert gegen die Regierung", erklärte ein Mann jüngst bei der Demonstration in Wien. Diese Einstellung haben die Demonstrationen zu einem fixen Termin für Rechtsextremisten gemacht, die, wie am vergangenen Samstag, die Polizei mit Steinen und Bierdosen attackieren.

"Obszön antisemitische Aussagen"

Der Antisemitismus auf den Demonstrationen findet sich auch im (aktuellen) Halbjahresbericht 2020 der Meldestelle Antisemitismus. Darin wird festgehalten, dass neben Rechtsextremen auch Gruppen in Erscheinung treten, "die Verschwörungsmythen verbreiteten". Als Beispiel werden die "obszön antisemitischen Aussagen" einer Aktivistin angeführt. In einem selbst aufgenommenen Video skandierte die Frau: "Soros muss weg", "Rothschild muss weg" oder "Rockefeller muss weg". Die Namen dienen Verschwörungstheoretikern als antisemitischer Code für den "mächtigen Juden", der als Sündenbock für die eigenen Probleme herhalte, wie im Bericht zu lesen ist.

Eine Strategie, auf die schon die Nationalsozialisten und ihre Vorläufer setzten – und bei der es offenkundig keine Rolle spielt, dass der 1937 verstorbene New Yorker Milliardär John Davison Rockefeller kein Jude war. Die Nationalsozialisten hatten die Bankiersfamilie Rothschild schon früh als Feindbild auserkoren. Ihre Hetze erreichte mit dem 1940 veröffentlichten antisemitischen Propagandafilm "Die Rothschilds" einen Höhepunkt. Die öffentliche Aufführung des Films ist in Deutschland aus guten Gründen weiterhin verboten. Der 1930 in Ungarn geborene Shoah-Überlebende George Soros ist durch seinen Einsatz für Menschenrechte und seine als "links" oder "liberal" geltende Gesellschaftsideen weltweit zum Feindbild geworden. Der Philanthrop und Investor gilt Antisemiten vieler Schattierungen als politischer Gegner.

Wachsamkeit

Es ist ein gefährlicher Mix, der im ersten Jahr der Corona-Pandemie entstanden ist. Verschwörungsgläubige und Rechtsextreme fachen nun gemeinsam den ohnehin zunehmenden Hass auf Juden und Jüdinnen weiter an. Die Israelitische Kultusgemeinde rief vergangene Woche bereits zum zweiten Mal zu Wachsamkeit am Shabbat auf. (Markus Sulzbacher, 16.4.2021)