Eine unscheinbare Pizzeria in einer kleinen niederösterreichischen Gemeinde. Die Glastür in der schmalen, heruntergekommenen Hausfront ist zu, auf einem Stehtisch vor der Tür liegt die abgebrannte Glut einer Zigarette. Durch das Fenster blickt man bis nach hinten in die Küche, wo in den Pizzaöfen Licht brennt. Schon am späten Vormittag dringt der Geruch von Essen nach draußen. Der kleine Gastraum ist nicht allzu schick, aber er wirkt gemütlich.

Hier lernten sich vor rund sechs Jahren A., er ist der Bruder des Pizzeriabesitzers, und Nadine kennen. Hier begann eine Liebesbeziehung, die in brutaler Gewalt endete, als A. Nadine mit Benzin übergoss und anzündete. Eines der erschütterndsten Verbrechen der vergangenen Jahre, begangen wie so viele Gewaltübergriffe durch einen Partner.

Der Ablauf dieser Tat hat das Land entsetzt. Am späten Vormittag des 5. März, so steht es in Akten zum Fall, betritt A. die Trafik auf der Nußdorferstraße im Alsergrund, ein kleines Geschäft, das zwölf Quadratmeter misst. Der 47-Jährige zieht die Rollos vor den Fenstern ein Stück hinunter, verschließt die Tür und geht auf die 35-jährige Nadine zu. Sie drückt einen Alarmknopf. Er schlägt ihr ins Gesicht, sie geht zu Boden. Dann würgt er sie zwei Minuten lang mit einem Kabel, das er aus seiner Jackentasche holt, und übergießt sie mit Benzin. Weil sie sich noch bewegt, würgt er sie erneut, schüttet das restliche Benzin über sie und zündet sie an. Er verlässt das Lokal, sperrt die Tür von außen zu, wirft den Schlüssel in einen Mistkübel, geht zu seinem Auto und fährt davon. Passanten sehen den Rauch aus der Trafik aufsteigen, brechen das Fenster ein. Nadine wird ins Krankenhaus gebracht. Als sich die Nachricht von der Tat sich verbreitet, stellt sich A. der Polizei, fünf Stunden vergingen, seitdem er die Trafik verlassen hatte. Nadine stirbt am 3. April.

Ein Foto vom 5. März: Die Einsatzkräfte waren rasch vor Ort, Nadine noch kurze Zeit ansprechbar.
Foto: APA/Neubauer

Geschichte einer Eskalation

Wie konnte das geschehen, fragen viele seither. Was bringt einen Mann dazu, der einst geliebten Frau solche Gräuel anzutun? Auf der Suche nach einer Erklärung hat DER STANDARD mit Weggefährten und Familienmitgliedern von Opfer und mutmaßlichem Täter gesprochen, Personen aus Justiz und Exekutive sowie Experten gefragt, was passieren muss, um Derartiges künftig zu verhindern.

Tragödien wie diese zeigen auf brutale Art und Weise, dass Österreich ein Problem hat. Bei jedem Mord, der in Österreich passiert, ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Opfer eine Frau ist größer, als dass es ein Mann ist. Fast jedes Jahr werden traurige Rekordzahlen verkündet. Jedes Jahr werden Frauen erstickt, erdrosselt, erschlagen und erstochen, jedes Jahr wenden sich zahlreiche Opfer von Gewalt an die Behörden oder Opferschutzorganisationen, um diesem Schicksal zu entkommen. Nicht immer gelingt es.

Viele Gewalttaten gegen Frauen folgen ähnlichen Mustern, aber jeder Fall ist auch einzigartig. Das gilt auch für A. und Nadine.

Wer ist A.?

A. wuchs in einer Stadt etwa 100 Kilometer nördlich der ägyptischen Hauptstadt Kairo auf. Der Großteil seiner Familie und seine Freunde leben heute noch dort. A. besuchte die Universität, bevor er Mitte der 1990er-Jahre nach Österreich auswanderte, wie schon sein Bruder vor ihm. Er habe hier fertigstudieren wollen, erzählt ein Freund. Schon nach wenigen Monaten heiratete er eine Österreicherin, das Paar hat eine gemeinsame Tochter, die Frau bringt eine weitere Tochter mit in die Ehe. A. arbeitet als Koch, meistens in Wien, ab und zu auch in der Pizzeria seines Bruders im niederösterreichischen Kleinort.

In A.s Umfeld sitzt der Schock über die Tat tief. "Es ist, als wäre jemand gestorben", so beschreibt einer in Ägypten die Situation – und meint damit A. Freunde und Verwandte nennen ihn freundlich und lebenslustig, gebildet und emotional. In seiner Jugend habe er viel Sport getrieben, außerdem reiste er schon immer gern, heißt es. Das merkt man auch auf seinem Facebook-Profil, wo er manchmal Gewinnspiele von Reiseanbietern teilt und Reisebüros mit "Gefällt mir" markiert – ebenso die Seiten von Herbert Kickl, Mario Kunasek und Sebastian Kurz.

Seinen Nachbarn in einem Gemeindebau in Wien-Ottakring fiel A. nicht wirklich auf – wie so oft unter Nachbarn in einer Großstadt. Man habe sich gegrüßt, mehr nicht, sagt eine Bewohnerin. Dass ihr Nachbar ein Verbrechen begangen haben dürfte, wird heute jedoch auf den ersten Blick klar: Da liegt zwar noch die Willkommensfußmatte, doch Schloss und Türklinke der Wohnungstür wurden entfernt. Ein schmaler Spalt steht offen, weil die Polizei ein Eisenscharnier an Tür und Rahmen geschraubt hat, um die Wohnung zu versiegeln, dahinter ist es schwarz. Als die Ermittler am 5. März in die Wohnung kamen, roch es nach Benzin.

Nadine: Freundlich, tierlieb, beliebt

Auch Nadine haben Nachbarn in dem Haus manchmal mit A. gesehen. Drei-, viermal im Monat habe man sie im Stiegenhaus angetroffen: A., Nadine und ihren Hund. Gemeldet war Nadine aber bei ihrem Vater in Niederösterreich, wo sie mit Eltern und Schwester auch aufwuchs. Die Eltern ließen sich schon früh scheiden, Nadine und ihre Schwester wohnten zunächst bei der Mutter, bevor sie viele Jahre später wieder bei ihrem Vater einzieht.

Aufgeweckt und fröhlich war Nadine schon als Kind, sagen Menschen, die sie schon damals kannten. Weggefährten beschreiben sie als Optimistin und als eine treue Persönlichkeit, die für ihre Freunde einstand. Und Nadine war ehrgeizig: Sie absolvierte eine Lehre zur Verkäuferin und arbeitete in einem Baumarkt. Dann beschloss sie, sich für eine Trafik in Wien zu bewerben. Wegen eines Reitunfalls in der Jugend hatte Nadine eine Behinderung und dadurch ein gesetzliches Vorzugsrecht. Pferde und das Reiten waren Nadines Leidenschaft. Schon in ihrer Kindheit war sie tierlieb, später besaß sie ein Pony und ein Pferd, mit denen sie viel Zeit verbrachte und in deren Pflege sie tausende Euro investierte. Sie engagierte sich darüber hinaus für Tierschutz und fand durch dieses Hobby auch Freunde und Bekanntschaften.

Oft pendelte Nadine vom Haus des Vaters fast eine Stunde in die Trafik im neunten Wiener Gemeindebezirk. Dort kannte sie fast jeder im Grätzl, wie das bei Trafikanten eben so ist. Kunden mochten Nadines Herzlichkeit, sie wurde geschätzt – sei es in der Bäckerei gegenüber oder beim Lkw-Fahrer vom Hofer nebenan.

Nach wie vor halten Passanten vor dem Geschäft inne, legen Blumen ab oder lesen die Beileidsbekundungen.
Foto: Andy Urban

Sieben tote Frauen in vier Monaten

Nadine ist die siebente Frau, die heuer in Österreich von einer Person aus ihrem engsten Umfeld getötet wurde. Schon im Jänner ereignete sich der traurige Fall einer 71-Jährigen, die erstochen und mit einem Hammer geschlagen wurde, ihr Mann gestand die Tötung. Am selben Tag erschoss ein 64-jähriger Mann erst seine 61-jährige Ehefrau und dann sich selbst. Keine drei Wochen vergingen heuer am Stück, ohne dass eine Frau auf ähnlich brutale Weise sterben musste. Nur wenige Tage, nachdem Nadine ihren Brandwunden erlag, gestand ein Mann in Graz, seine Frau erstochen zu habe – bis jetzt der letzte Fall in diesem Jahr.

An dieser Stelle von sieben Frauenmorden zu schreiben wäre dennoch nicht korrekt: Erst nach einer Verurteilung kann von einem Mord die Rede sein. Selbst wenn sich jemand der Polizei gestellt und die Tat gestanden hat, wie A. im Fall von Nadine, ist der Tatbestand des Mordes dadurch nicht automatisch erfüllt. Der Täter kann auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren; auf eine Tat im Affekt oder die Tötungsabsicht negieren.

Oft ist im Boulevard nach Frauentötungen von "Beziehungstaten" zu reden. Doch der Begriff greift zu kurz, vereinfacht er doch die dramatischen Ereignisse auf banale Kausalitäten wie Eifersucht, verschmähte Liebe oder Streit. Oft schwingt bei derartigen Erzählungen auch noch eine Schuldzuweisung gegenüber dem Opfer mit, als ob ihr Verhalten die Tat erst provoziert hätte.

Wofür Femizid steht

Zunehmend etabliert sich für Taten wie diese der Begriff des Femizids. Er soll ausdrücken, dass hinter Tötungsdelikten von Frauen oft keine individuellen, sondern gesamtgesellschaftliche Probleme stecken. Die zentrale Frage dahinter: Wäre das Opfer noch am Leben, wenn es keine Frau wäre?

Ausländerfeindlichkeit, wie sie in dem Kontext immer wieder laut wird, wenn der Tatverdächtige oder Täter keine österreichische Staatsbürgerschaft hat, ist jedenfalls fehl am Platz. Frauen werden in allen Kulturen, Gesellschaftsschichten, Religionen und und Berufsgruppen ermordet, dieses Mantra beten Opferschutzorganisationen seit Jahren vor. Erst vergangenes Jahr wurde ein 26-jähriger Österreicher wegen des Mordes an fünf Menschen in Kitzbühel zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Es ist ein Problem, das alle angeht.

"Für immer und ewig"

2017, vor vier Jahren, bekundete A. zum ersten Mal öffentlich seine Liebe zu Nadine. "Für immer und ewig", schrieb er ihr für die ganze Welt sichtbar aufs Facebook-Profil, ein Jahr später postete er: "Einen schönen guten Morgen, meine geliebte Frau. Ich vermisse dich". Doch gemeinsame Fotos gibt es nirgendwo, und auch nicht viele Leute, die darüber erzählen können oder wollen, wie die beiden waren, wenn sie zusammen waren.

Von dem wenigen, was erzählt wird, ist herauszuhören, dass es eine On-off-Beziehung gewesen sei, vor allem in letzter Zeit. Auch ein Freund A.s aus Ägypten sagt, dass sich die beiden immer wieder getrennt hätten. Nadine hat der Freund nie kennengelernt, auch wenn A. zweimal pro Jahr nach Ägypten geflogen ist. Im niederösterreichischen Kleinort erzählt der Bruder, dass die beiden immer wieder gemeinsam in seine Pizzeria gekommen seien, jene, in der alles begann. Ob sie glücklich waren? Der Bruder zuckt mit den Schultern. Sie hätten Essen geholt und seien dann wieder weg, sagt er, da könne er das nicht beurteilen. Aber: Sein Bruder A. habe sich auf jeden Fall gekümmert um Nadine. Erst vor wenigen Monaten, als sie wegen einer Corona-Infektion in Quarantäne war, so erzählt der Bruder, habe A. veranlasst, dass sie jeden Tag Essen aus der Pizzeria geliefert bekommt, gratis.

Eine Bekannte von Nadine erzählt außerdem von einem Tag, an dem sie die beiden auf dem Bauernhof von Nadines Vater getroffen hat – dem einzigen Mal, dass sie A. gesehen habe. Nadines Pferde seien früher dort untergebracht gewesen, der Vater ist Nebenerwerbsbauer, hat ein paar Kühe und einen Stall. Zu A. soll er, so erzählt es die Bekannte Jahre später, recht kühl gewesen sein. Von mehreren Seiten hört man, dass A. immer wieder auf seinen Migrationshintergrund angesprochen worden sein soll – auch von Nadine, wenngleich scherzhaft.

Kaum Zahlen verfügbar

Im internationalen Vergleich liegt Österreich, was Gewalt gegen Frauen angeht, im Mittelfeld – zumindest, bei den wenigen Zahlen, die man kennt. Die umfassendste Studie dazu kommt von der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte und stammt aus 2014. Betrachtet man da die Zahlen, wie viele Frauen seit dem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt in einer Partnerschaft erleben mussten, so sind das hierzulande weniger, als im EU-Durchschnitt – und doch ist es bis zu jede Fünfte.

National jedenfalls ist die Entwicklung spätestens seit 2015 besorgniserregend: Damals wurden 17 Frauen getötet, 2020 waren es fast doppelt so viele – die Spitze lag im Jahr 2018, als 41 Femizide gezählt wurden.

Mittlerweile ist die Sache so besorgniserregend, dass Justizministerin Alma Zadić einen Erlass ausgab, in dem es heißt, die "Anzahl der angezeigten Fälle von Gewalt gegen Frauen und die Anzahl der ausgesprochenen Verurteilungen werfe Fragen bezüglich der Rolle der Staatsanwaltschaften hinsichtlich der Erfüllung ihrer Sorgfaltspflicht (...) auf". Sie bezieht sich dabei auf den Bericht einer Expertengruppe des Europarats, indem "die häufig ungenutzte Möglichkeit der Staatsanwaltschaften, die Exekutive in Fällen von häuslicher Gewalt oder Stalking mit ergänzenden Ermittlungen zu beauftragen" thematisiert wird.

Ein neuer Erlass

Das festgeschriebene Ziel des Erlasses ist es, die Kommunikation zwischen Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft zu verbessern. Die Rede ist darin von "Drucksituationen", unter denen Journalstaatsanwälte und -staatsanwältinnen stehen, wenn sie am Telefon – zum Teil ohne Zugriff auf PC, Faxgerät oder Nachschlagewerke – entscheiden müssen, ob wegen eines Falles von häuslicher Gewalt U-Haft verhängt werden muss, während auf der anderen Seite des Telefons ein Polizeibeamter an einem lauten, hektischen Tatort steht. Immer wieder thematisieren auch Medien, warum ein Gewalttäter nicht bereits inhaftiert wurde, nachdem es Vorzeichen gegeben hätte, dass es bald zu Gewalt kommen würde.

Ja, in vielen Fällen müsse man ohne Unterlagen entscheiden, entgegnen da Staatsanwälte. Doch dass aus Zeitgründen oder Überforderung Entscheidungen falsch getroffen werden, schließt man aus. Man müsse schlicht abwägen: Zwischen der Freiheitsbeschränkung eines mutmaßlichen Täters auf der einen, und dem Opferschutz auf der anderen Seite – und am Ende zähle nun einmal, ob Gründe für eine Untersuchungshaft vorliegen oder nicht.

Poilzei weist Kritik von sich

Ein weiteres Problem: Opfer, so berichten Opferschutzorganisationen immer wieder, würden in manchen Fällen weggewiesen werden, wenn sie eine Anzeige wegen häuslicher Gewalt stellen möchten. "Außerdem fehlt es für solche Fälle oft an geschultem Personal, speziell an Beamtinnen", sagt etwa Rosa Logar von der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt. Den ersten Vorwurf weist die Landespolizei Wien entschieden zurück: Immerhin wäre das Amtsmissbrauch. Was die Ansprechstellen angeht, so gibt es laut Polizei 84 Präventionsbeamte in Wien, davon sei rund die Hälfte Frauen. Im ganzen Jahr 2020 wurden in Wien rund 3400 vorläufige Betretungs- und Annäherungsverbote ausgesprochen.

Auch der Ruf nach Verschärfungen im Strafrecht, wie er nach derartigen Taten oft kommt, wird von Expertinnen und Experten kritisch gesehen. Birgitt Haller, Juristin und Politikwissenschafterin am Institut für Konfliktforschung plädiert für niederschwelligere Maßnahmen, etwa häufiger die Auflage, Entzugstherapien oder Antigewalt-Trainings zu verhängen. Doch das Problem sei ein gesamtgesellschaftliches: "Es ist nach wie vor so, dass sich Opfer schämen, wenn sie Opfer sind", sagt sie. Und: "Gewalt gegen Frauen hat mit dem Patriarchat zu tun. In Familien ist immer noch meist der Mann der, der anschafft, im Nationalrat sind mehrheitlich Männer. Das macht etwas mit den Männern und mit den Frauen", sagt sie.

Schicksalsschläge und gegenseitige Kontrolle

Nadine und A. hatten in den vergangenen beiden Jahren beide mit Schicksalsschlägen zu kämpfen: Zunächst musste Nadine ihr Pferd, das sie 15 Jahre lang hatte, einschläfern lassen. Ihre Trauer über den Verlust teilte sie auch auf Facebook. A. verlor seinen Arbeitsplatz in der Kantine eines Wiener Spitals. Nach einer Operation am Bein fiel er monatelang aus und war im Krankenstand, irgendwann wurde er gekündigt. A. bekämpfte die Kündigung zunächst. Nach der Tat zog er die Anfechtung zurück. Das Spital will sich dazu nicht äußern.

Die Stimmung zwischen A. und Nadine wurde schlechter und schlechter. Ein paar Jahre nach Beziehungsbeginn machte sich auf beiden Seiten Kontrollzwang breit. Zig Anrufe, Chatnachrichten und E-Mails gingen da am Tag hin und her, in einem halben Jahr wurden mehrere tausend Nachrichten verschickt. Nadine soll, so heißt es aus Justizkreisen, immer wieder gefragt haben, wo A. gerade sei. Auf die Antwort, er liege im Bett, soll sie ein Foto verlangt haben; vor laufendem Fernseher, um kontrollieren zu können, ob das Foto auch tatsächlich aktuell sei.

Das mag nach Kontrollzwang aussehen. Doch wie später A. Nadine kontrollieren würde, überstieg das bei weitem.

Trennungen als Knackpunkt

Nicht nur A., auch die meisten der anderen Männer, die dieses Jahr eine Frau töteten, waren gerade frisch getrennt oder befürchteten eine Trennung. Es gebe hier einen "wirklich großen" Genderunterschied, wie mit Trennungen umgegangen wird, sagt Romeo Bissuti, klinischer und Gesundheitspsychologe, Psychotherapeut und Leiter des Männergesundheitszentrums Men.

Ganz allgemein gesagt müsse man sich bei Frauen in Trennungssituationen eher Sorgen machen, dass sie sich selber etwas antun. Bei Männern, dass sie der Frau etwas antun. Für viele von ihnen sei das Beziehungsende eine schwer auszuhaltende narzisstische Kränkung, die Quelle der Verletzung werde im Außen gesucht und mit Gewalt bestraft, sagt der Psychologe. Warum? "Unter andere weil Burschen noch immer vermittelt bekommen beziehungsweise dazu ermutigt werden, auf negative Erlebnisse, Kränkungen oder Schwäche mit Gewalt zu reagieren."

Außerdem gebe es nach wie vor patriarchale und hegemoniale Ordnungen, die zusätzlichen Nährboden für Gewalt gegen Frauen bieten: "Wenn in gesellschaftlichen Bildern das Selbstbestimmungsrecht der Frau infrage gestellt wird – sei es bei der Berufswahl, der Bildung, wie die Kinderbetreuung funktioniert – wird Frauen abgesprochen, einen eigenen Weg gehen zu können. Wir müssen uns also damit beschäftigen, was Frauen in unserer Gesellschaft haben."

Ein importiertes Problem?

In Österreich gebe es zwar eine "rhetorische Emanzipation" und man gebe sich gerne aufgeklärt und modern. Bei den Handlungen sei aber ein Auseinanderklaffen sichtbar. "Österreich ist nicht immer ein gerade leuchtendes Beispiel für fortschrittliche Gleichberechtigung", sagt der Experte.

Und: "Wenn man aus einem Land kommt, wo Gewalt gegen Frauen nicht strafbar ist, beeinflusst das einen natürlich. Eine politische Instrumentalisierung dieses Themas hilft jedoch niemanden", sagt Bissuti. Die Auswertung der Anzeigenstatistik aller Frauenmorde zeigt: Von 26 Tatverdächtigen im Jahr 2020 hatten 21 die österreichische Staatsbürgerschaft. 2019 waren unter 43 Verdächtigen 22 Österreicher.

Auch die Familie von Nadine hat an der Trafik einen Zettel angebracht.
Foto: Andy Urban

Was A. getan haben soll, lässt viele Bekannte und Freunde schockiert bis ungläubig zurück. Er sei doch immer so freundlich gewesen, sagen sie. Laut Bissuti kein Widerspruch. Denn Gewalt an Frauen sei eben für das Umfeld meistens nicht sichtbar. "Gewalttäter sind relativ normale Männer, die oft auch darauf bedacht sind nach Außen einen guten Eindruck zu machen. Und weil sie befürchten, dass dieser Eindruck mit einer Trennung Schaden nimmt, reagieren sie gewalttätig." Das würde dabei fast ausschließlich in den eigenen vier Wänden passieren und mit verschiedensten Kontrollmechanismen würden die Täter auch dafür sorgen, dass die Frauen niemandem etwas erzählen. "Nur weil polizeilich keine Gewalt bekannt ist, muss das nichts heißen. Wir wissen, dass viele Frauen nicht zur Polizei gehen und keine Anzeige machen. Dass eine Gewalttat ein einmaliger Ausrutscher war, das ist aber fast nie so."

Konflikt spitzt sich zu

Ob es auch in der Beziehung von A. und Nadine häusliche Gewalt gab, ist nicht klar. Aufgefallen ist niemandem etwas, polizeilich ist dazu auch nichts bekannt. A. wurde allerdings 2018 wegen versuchter Nötigung und Körperverletzung verurteilt und war somit vorbestraft. Das Opfer war eine Frau, allerdings nicht Nadine. Medienberichte, denen nach er Nadine vier Wochen vor der Tat mit einem Messer bedroht haben soll, erwiesen sich als falsch. Dennoch: In den Tagen und Wochen vor der Tat sollen sich die Konflikte zwischen Nadine und A. zugespitzt haben.

Zwar war nach außen hin vieles in Ordnung – so soll A. nur zwei Wochen vor der Tat die Küche von Nadines Mutter renoviert haben. Doch im Inneren kochte die Eifersucht, jedenfalls klingen die Geschichten aus dem Bekanntenkreis so, und so lesen sich auch die Akten des Falles. A. kontrollierte Nadines Handy, sah nach, was sie gelöscht hatte, mit wem sie telefonierte, ob sie Kontakte blockierte. Das Misstrauen soll so groß gewesen sein, dass A. wütend wurde, wenn Nadine sich mit ihren Kunden gut verstand;, dass Nadine sauer war, wenn A. seine Tochter aus erster Ehe besucht hat.

Die Eifersucht ging so weit, dass A. bei Amazon eine Wanze bestellte. Ein günstiges Gerät, hinter dem ein simples Prinzip steckt: In das Abhörgerät kommt eine SIM-Karte, die kann man anrufen und hört dann, was am anderen Ende der Leitung geschieht, ohne dass man selbst gehört wird. Das platzierte er in der Trafik und rief es an. Ohne dass Nadine davon weiß, hörte er ihr stundenlang zu. Er hörte, wie sie sich mit einem Detektiv über ihn unterhielt, belauschte Selbstgespräche, die sie abends beim Geld zählen führte, und kam zu dem Schluss, dass sie ihn betrog.

Am Ort des Gedenkens

Gegenüber von Nadines Trafik, auf der anderen Seite der belebten Nußdorfer Straße ist ein Handyshop. Dessen Besitzer kennt sowohl Nadine als auch A. und eine gemeinsame Freundin der beiden, sie alle seien hin und wieder bei ihm gewesen, sagt er. Die Freundin habe ihm erzählt, dass sie wenige Tage vor der Tat Nadine geraten habe, sich doch endlich von A. zu trennen. Und: Zwei Tage vor der Tat, so erzählt der Handyshopbesitzer, habe Nadine sich bei ihm ein neues Handy gekauft, kein Smartphone, ein einfaches Tastengerät von Nokia. Für ihre Mitarbeiterin, sei das gedacht, habe sie gesagt, sie wolle es im Laden lassen. Nur: Soweit bekannt, stand Nadine immer alleine im Geschäft.

Die Tür der Trafik wurde mit Brettern verschlossen.
Foto: urban

Heute, zwei Wochen nach Nadines Tod, liegen noch immer viele Blumen und Kerzen vor dem Eingang zur Trafik. Die Eingangstüre wurde mit Brettern verschlossen, überall hängen kleine Zettel mit Beileidsbekundungen. "Auch wenn ich nie im Lotto gewonnen habe, bin ich am liebsten zu dir eins kaufen gegangen – wegen deinem von Herzen gemeinten ‚Viel Glück‘", schreibt einer. "Sie sind die freundlichste Trafikantin von Wien", ein anderer. Passanten bleiben stehen, halten inne und lesen die Nachrichten. Auch Genesungswünsche sind noch zu lesen.

Couragierte Ersthelfer

Nadine kämpfte fast einen Monat lang um ihr Leben. Nachdem sie den eintreffenden Beamten Minuten nach der Tat noch sagen konnte, dass es A. war, der ihr das angetan habe, wurde sie im Krankenhaus in den künstlichen Tiefschlaf versetzt, aus dem sie nie wieder aufwachen soll. 80 Prozent ihrer Haut waren verbrannt, ihre Überlebenschance bei fünf Prozent.

Dass sie noch kurze Zeit ansprechbar war und nicht gleich an Ort und Stelle ihr Leben lassen musste, hatte Nadine couragierten Ersthelfern zu verdanken: Sie bemerkten den Rauch, der aus der Trafik kam und schlugen die Tür mit einem Einkaufswagen ein. Eine Frau wagte sich durch den dicken schwarzen Rauch ins innere des Geschäfts. Da stand Nadine. Regungslos, geschockt. Die Helferin geht mit ihr raus, konzentriert sich währenddessen auf den Boden, zu schlimm sei der Anblick von Nadine gewesen. Draußen angekommen setzt sich die schwer verletzte Nadine zu Boden. "Da war nur noch eine Seele, der Körper war vollkommen kaputt", sagt die Helferin. Ein Rettungsauto war zu dem Zeitpunkt in der Nähe, die Polizei wenig später vor Ort.

Heute sagt die Frau, die sich ins Innere der Trafik getraut hat: "Es gibt mir Kraft, dass wir das geschafft haben – obwohl ich natürlich zutiefst traurig bin. Ich hatte immer gehofft, dass Nadine und ich uns noch einmal in die Augen schauen können, dass wir miteinander lachen werden." Die paar Minuten am späten Vormittag des 5. März werde sie nie mehr vergessen. "Als Nadine und ich rauskamen, waren die Menschen in Schockstarre. Wir alle waren in unseren eigenen Welt, kaum ansprechbar. Es lag eine eisige Angst in der Luft, man kann sich das nicht vorstellen." Erst bei der Polizei erfährt die Frau von A. und was er getan hat,. Vor Ort bei der Trafik hatte sie gedacht, dass bei den Bauarbeiten am Haus etwas schief gelaufen sein muss und es deswegen eine Explosion gab.

Nadines Familie würde diesen Menschen gerne persönlich danken, bis jetzt kennen die Hinterbliebenen die Namen der Helferinnen und Helfer aber nicht. Zum Trauern sei noch nicht viel Zeit gewesen, heißt es aus Nadines Familienkreis. Und: "Das geht einfach nicht aus dem Kopf – warum macht jemand so was? Ich verstehe es einfach nicht." Auch in Ägypten ist die Bestürzung groß, Freunde und Familie von A. können die Tat nicht begreifen. Dennoch zahlt die Familie bei den Prozesskosten mit.

Der mutmaßliche Täter als Opfer

Anwalt Manfred Arbacher-Stöger sagt zum Fall: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Mandant in Tötungsabsicht gehandelt hat." Und doch wirkt die Tat, nach allem, was darüber bekannt ist, akribisch geplant. Wenige Tage vor der Tat kaufte er Benzin und füllte es in eine kleine Soßen-Flasche, sie lag seit Tagen im Auto. Und bei der er dennoch einiges übersah: Dass Überwachungskameras die gesamte Tat aus mehreren Winkeln mitschneiden werden, war ihm zwar bewusst. Doch A. rechnete damit, dass sie dem Brand zum Opfer fallen würden. Taten sie aber nicht.

Bemerkenswert an der Causa: A. will dass Fall medial beleuchtet wird, er will, dass beide Seiten der Geschichte erzählt werden. Ein Hinweis dafür, dass er sich selbst auch als Opfer sieht – und nicht nur die Frau, die vollkommen wehrlos war, die überrumpelt und getötet wurde. Dass weder Eifersucht noch Kontrollzwang, Misstrauen oder Fremdgehen eine Gewalttat – und gar einen Mord – rechtfertigen können, wird dabei ausgeblendet.

Es ist zu befürchten, dass auch der jüngste gewaltsame Tod einer Frau nicht der letzte in diesem Jahr gewesen sein. Statistisch gesehen werden heuer noch etwa zwei Dutzend Frauen ermordet werden. (Lara Hagen, Gabriele Scherndl, 17.4.2021)