Der Anlass des Verfahrens vor dem Presserat: Interview mit Kerosin 95.

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Wien – Ein STANDARD-Interview mit provozierenden Fragen gegenüber einer nichtbinären Person ist von der Pressefreiheit gedeckt. Das hat der Senat 3 des Presserats entschieden. Das Interview mit dem Titel "Kerosin 95: 'Das ist verinnerlichte Arroganz'" erschien am 8. März und stelle keine "gezielte Verunglimpfung von Minderheiten" dar, teilte das Selbstkontrollorgan für die österreichische Presse in einer Aussendung am Freitag fest.

Das Interview, das auch in der Printausgabe erschien, dreht sich zunächst darum, weshalb die Kunstfigur Kerosin 95 auf genderneutraler Sprache bestehe. Dabei merkt der Interviewer an, dass Studien zufolge 0,5 Prozent der Bevölkerung transgender seien und ob man deswegen die Sprache von 99,5 Prozent verändern solle.

Der Presserat merkt an, dass diese Formulierung als "ein wenig unsensibel bzw. provokant angesehen" werden könnte. Kerosin 95 antwortet auf die Frage, dass sie zu Statistiken nichts sagen könne und es viel mehr Leute seien, als wir glaubten. Danach geht es im Interview um die Frage, ob nicht Gleichberechtigung das bedeutendere Ziel sei als die Befriedigung individuell gefühlter Bedürfnisse. Auch wird erörtert, welche Formen der Anrede für Kerosin 95 beleidigend seien.

Leserinnenbeschwerden

Zahlreiche Leser und Leserinnen wandten sich an den Presserat und kritisierten das Interview als transphob, sexistisch und respektlos. Der Senat 3 befasste sich mit dem Beitrag und stellte fest, dass im Zuge eines Interviews auch kritische oder sogar provozierende Fragen gestellt werden können und diese von der Pressefreiheit gedeckt seien.

Das Ermessen reicht besonders weit, da der Interviewpartner unmittelbar und spezifisch auf die Fragen eingehen kann. Kerosin 95 fordert zudem von Medien eine genderneutrale Berichterstattung ein. Vor diesem Hintergrund erscheint es dem Presserat naheliegend, Kerosin 95 in einem Interview mit Fragen über Gender- und Geschlechterpolitik zu konfrontieren. (APA, 7.5.2021)