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Auch Kinder können an Covid erkranken, ein gewisses Risiko für schwere Verläufe ist nicht auszuschließen. Was passiert, wenn die Eltern schon geimpft sind, die Kinder aber nicht?

Foto:Getty Images / Westend61

Die Gesellschaft spalten, diese Fähigkeit haben sowohl das Coronavirus als auch die Maßnahmen zu seiner Bekämpfung hinlänglich unter Beweis gestellt. Reiche gegen Arme, Norden gegen Süden, Alt versus Jung – bestehende soziale und ökonomische Bruchstellen haben sich in den vergangenen 14 Monaten bedeutend vertieft.

Das erwähnte Potenzial für Generationenkonflikte hat sich seit Ausrufen des Ausnahmezustands jedoch stark gewandelt. Im Grunde hat sich die Lage umgekehrt. Vor einem Jahr waren es die Alten, die das mit Abstand höchste Corona-Risiko trugen – nun sind es zunehmend die Jungen und Allerjüngsten, um die man sich medizinisch und epidemiologisch betrachtet Sorgen machen muss, auch wenn ihr Risiko um einiges geringer ist.

Um Seniorinnen und Senioren vor einem schweren Krankheitsverlauf und vor dem Tod zu schützen, wurden im Frühjahr 2020 Maßnahmen gesetzt, die etliche Betroffenen aus einem normalen Alltag ausschloss. Das führte bei so manchem zu Verzweiflung und allgemein zu viel Kritik.

Warten auf Kinderimpfstoff

Jetzt, mit zunehmender Impfrate in der Generation 60 plus, verringert sich für ältere Menschen die Gefahr, schwer zu erkranken. In wenigen Monaten schon könnte das bei allen immunisierbaren Erwachsenen über 16 Jahre der Fall sein – eine hohe Impfbereitschaft und das Ausbleiben vakzineresistenter Virusmutationen vorausgesetzt.

Kinder und Jugendliche hingegen werden, was Impfstoffe betrifft, ungeschützt bleiben – bis zum Sommer sicher und vielleicht auch noch länger. Im Spätsommer, wenn alles gutgeht, werde man in Österreich mit dem Impfen der Zwölf- bis 16-Jährigen beginnen können, sagt der Mikrobiologe der Uni Wien und Leiter einer vielbeachteten Studie über die Corona-Dunkelziffer an Schulen in Österreich, Michael Wagner. Für jüngere Kinder hofft er in Österreich "bis Jahresende oder Anfang des neuen Jahres" auf einen Immunisierungsstart.

Tatsächlich wurde in Kanada vor wenigen Tagen ein Corona-Vakzin für Zwölf- bis 16-Jährige zugelassen, in den USA steht man dem Vernehmen nach kurz davor. In der EU prüft die Arzneimittelagentur EMA den Stoff bereits – doch bis er in der Fläche zur Verfügung steht, wird es nach einer Zulassung einige Monate dauern.

Belasteter Sommer

Mit belastbaren Daten für ein bei zwischen sechs Monaten und elf Jahren alten Kindern anwendbares Vakzin wiederum rechnet Pfizer aktuell im heurigen September. Zulassungsverfahren und Ausrollen würden dann erst starten.

Welche Folgen wird es haben, wenn sich die Erwachsenen vor dem Coronavirus vielleicht großteils bald sicher fühlen – die Kinder aber noch nicht? Wie wird angesichts dessen der heurige Sommer ausschauen, von dem sich viele im familiären Umfeld Entspannung nach dem harten Pandemiewinter und -frühjahr erhoffen? Was ist im Herbstsemester in den Kindergärten und -krippen sowie in den Schulen zu erwarten?

Der Kinderpsychiater, Neurologe und Mitarbeiter des österreichischen Netzwerks Kinderrechte, Ernst Berger, hofft vor allem eines: dass der asymmetrische Schutzzustand so kurz wie möglich währen möge. Er fürchtet innerfamiliäre Verwerfungen. Eine solche Situation berge einiges an Konfliktpotenzial zwischen Jung und Alt, meint er.

Bedürfnis nach Freiheit und Selbstbestimmung

Hier der Versuch von Eltern und Betreuungspersonen, die Kinder und Jugendlichen weiter vor Corona-Infektionen zu schützen – und sie daher zu fortgesetztem sozialem Verzicht zu motivieren –, während sich die Erwachsenen selbst schon mehr trauen können. Dort die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen nach Freiheit und Selbstbestimmung nach all der langen Zeit: "Das kann viel Ärger, Zorn und Trauer verursachen", sagt Berger.

Schon im ersten Lockdown hätten ihm Eltern pubertierender Jugendlicher erzählt, wie schwierig es gewesen sei, ihren Nachwuchs etwa von Treffen mit Freunden abzuhalten. Ein Dreivierteljahr später werde das nicht einfacher sein – eher im Gegenteil. Aber braucht es solche Verzichte überhaupt? Je jünger ein Mensch, umso geringer die Gefahr, schwer an Covid-19 zu erkranken, gilt laut Experten. Das Risiko für Kinder, infolge eine Corona-Infektion zu sterben, ist im Vergleich mit dem anderen Ende der Alterspyramide, der Generation 85 plus, gar 8.700-fach geringer. Warum also die wenig anfälligen Jungen besonders schützen, wenn doch die Älteren rund um sie bereits immunisiert sein werden?

Unter anderem deshalb, weil laut jüngsten Studienergebnissen des britischen Office for National Statistics auch relativ viele Kinder und Jugendliche von Long Covid betroffen sind, der chronischen und langwierigeren Form der Erkrankung, sagt Mikrobiologe Wagner. Einer Krankheit, bei der der Kinderpsychiater Berger auch einen psychologischen Anteil vermutet, eine "posttraumatische Reaktion" auf die Erfahrung, einer höchst gefährlichen Infektion zum Opfer gefallen zu sein.

Folgen von Long Covid

Laut Wagner sind die mit Long Covid einhergehenden Beschwerden krankheitswertig und machen das Bewältigen eines normalen Alltags vielfach unmöglich. Der britischen Studie zufolge würden sechs bis acht Prozent der infizierten Minderjährigen fünf Wochen später immer noch an Symptomen wie Nerven- und Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen und allgemeiner Müdigkeit leiden – auch Kinder und Jugendliche, die ursprünglich einen sehr leichten Erkrankungsverlauf hatten.

"Auch Kinder haben das Recht auf umfassenden Schutz der Gesundheit " sagt Mikrobiologe Michael Wagner

Hinzu kommt ein – sehr geringes, aber bestehendes – Risiko für kleinere Kinder, zwei bis vier Wochen nach einer Corona-Infektion an MIS-C zu leiden – einer überschießenden Reaktion des Immunsystems. Diese Krankheit könne sogar in eine Spitals- und Intensivstationseinweisung münden, sagt Wagner. Die gesundheitlichen Folgen von Covid-19 für junge Menschen seien keineswegs vernachlässigbar: "Auch Kinder haben das Recht auf umfassenden Schutz der Gesundheit."

Was aber bedeutet der Umstand, dass die Jüngsten und Jungen mittelfristig das höchste Infektionsrisiko tragen werden, in einem Staat wie Österreich für den Fortgang der Pandemie? Unter den Erwachsenen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können oder bei denen die Impfung nicht funktioniert, sowie unter Personen, die sich nicht immunisieren lassen wollen, wird es dann zwangsläufig immer wieder durch Übertragung von Kindern und Jugendlichen zu Krankheitsausbrüchen kommen.

Um die Erkrankungsausbreitung zu stoppen, wäre eine Impfung vieler Junger sehr wichtig. Davon würden alle profitieren, sagt Experte Wagner.

Denn sind die umgebenden Erwachsenen immunisiert, so dämpft das das Infektionsgeschehen unter ungeimpften Kindern. Laut Umfragen wollen sich drei Viertel aller Lehrerinnen und Lehrer impfen lassen. Tatsächlich sind laut einer Sprecherin des Bildungsministeriums bis dato in der Lehrerschaft und beim Kindergartenpersonal je nach Bundesland zwischen 50 und 80 Prozent zumindest mit einem Stich immunisiert.

Drei PCR-Tests pro Woche

Bis dahin setzt man in den Schulen auf regelmäßige PCR-Tests. Dreimal pro Woche sollen ab Herbst alle Kinder daheim gurgeln und die Proben an den Schulen abgeben, bundesweit – so lautet der Vorschlag, der kürzlich von der Covid-19 Future Operations Plattform, der Wagner angehört, gemacht wurde. Ein Pilotversuch startet noch im Frühjahr in Wien.

Unter solchen Testbedingungen sei ein sicherer und regulärer Schulbetrieb möglich, sagt Mikrobiologe Wagner. Dann finde man Infektion rasch und konsequent genug.

Auch diese aufwendige Phase dürfte außerdem aller Voraussicht nach ein absehbares Ende haben. Gehe alles gut, werde man "im Sommer oder Spätsommer" mit einer Impfaktion für Zwölf- bis 16-Jährige beginnen können, sagt ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. Für die Immunisierung der noch Jüngeren werde man später mit der Schulärzteschaft zusammenarbeiten. Dann, endlich, wird das Virus ausgebremst haben – in seiner Eignung, die Generationen auseinanderzutreiben. (Irene Brickner, 8.5.2021)