Seit Freitag weht auf dem Bundeskanzleramt neben der österreichischen Fahne auch jene Israels.

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Politologe Gärtner: "Neutrale Position Österreichs wird weniger glaubhaft."

Spaziergängern wird die Fahne Israels auf dem Dach des Bundeskanzleramts in Wien schon am Freitag aufgefallen sein. Hausherr Sebastian Kurz ließ sie dort hissen – als Zeichen der Solidarität mit Israel, wie der Kanzler verlautbarte. Die Kritik daran ist seither nicht verstummt. Der Politologe Heinz Gärtner vom Internationalen Institut für den Frieden (IIP) in Wien kann sie nachvollziehen.

STANDARD: Darf ein neutrales Land wie Österreich auf seinem wichtigsten Regierungsgebäude die Flagge eines anderen Landes hissen, das sich im Krieg befindet?

Gärtner: Ich halte das in einer Kriegssituation für völlig unangebracht. Eine Sache ist es, die Raketenangriffe der Hamas zu verurteilen, man kann sich deshalb aber nicht völlig hinter die Politik Israels stellen. Das bedeutet zu negieren, dass der Anlass ja die Evakuierung von arabischen Wohnungen in Ostjerusalem war. Dies hat die Palästinenser beunruhigt, was die Hamas dann ausgenutzt hat. Wenn man als Österreich dann Israels Fahne aufhängt, akzeptiert man auch die Kriegshandlungen Israels. Man würdigt damit zwar zu Recht die israelischen Opfer, entwürdigt aber die palästinensischen Opfer. Indirekt akzeptiert man damit schlussendlich auch den Angriff auf das Medienzentrum in Gaza am Samstag, auch wenn man die Fahne vorher schon aufgezogen hat.

STANDARD: Was bedeutet das für die Neutralitätspolitik Österreichs?

Gärtner: Natürlich stellt das Hissen der Fahne eine Abkehr von der Neutralitätspolitik dar, wenn auch nicht rechtlich, aber doch politisch. Darüber hinaus bedeutet es auch eine Abkehr von der Zweistaatenlösung, die seit der Ära Bruno Kreiskys ein Markenzeichen Österreichs war. Kreisky war weltweit der erste Staatsmann, der diese Lösung in der Uno vorgeschlagen hat. Die Position Österreichs als Vermittler wird dadurch weniger glaubhaft, sowohl in diesem Konflikt als auch in künftigen Konflikten.

STANDARD: Wäre die Entrüstung in Ländern wie Deutschland oder Frankreich, die nicht neutral sind, anders?

Gärtner: Ich glaube nicht. Kein Staat ist verpflichtet, sich in einem bewaffneten Konflikt auf die Seite eine der beiden Parteien zu schlagen, so lange kein Bündnisverhältnis besteht. Als neutrales Land sollten wir uns ohnehin nicht auf die Seite einer Kriegspartei stellen.

STANDARD: Wäre die Empörung tatsächlich gleich groß, wenn es nicht die israelische Flagge wäre?

Gärtner: Meine Reaktion wäre überhaupt nicht anders. Es geziemt sich schlicht nicht, die Fahne einer Kriegspartei zu hissen, egal welche.

STANDARD: Warum macht Sebastian Kurz das?

Gärtner: Ich nehme an, um Solidarität mit Israel zu zeigen, was ja genauso wichtig ist, wie gegen Antisemitismus in Österreich aufzutreten und an den Holocaust zu erinnern. Meiner Meinung nach muss man sich deshalb aber in einer Kriegshandlung nicht vorbehaltlos auf die Seite Israels stellen.

STANDARD: Wien ist ein wichtiger Schauplatz bei den Atomverhandlungen mit dem Iran. Hat das Einfluss?

Gärtner: Es war ein Erfolg der österreichischen Diplomatie, dass die Verhandlungen in Wien stattfinden, übrigens auf Wunsch des Iran. Die Verhandlungen gingen zuletzt in eine positive Richtung, wenn auch langsam. Die Flaggenaktion hat den Verhandlungsort Wien nun sicher geschwächt. Dass der iranische Außenminister Javad Zarif, der in Wien die Unterstützung der Verhandlungen durch den Iran demonstrieren wollte, nicht ins österreichische Außenministerium gehen kann, wenn die israelische Fahne oben weht, ist klar.

STANDARD: Was kann Österreich tun, um die Situation zu entspannen?

Gärtner: Österreich muss zur Zweistaatenlösung in den Grenzen von 1967 zurückkehren. Es geht um ein Wiederaufgreifen der traditionellen Außenpolitik Österreichs seit Kreisky. (Florian Niederndorfer, 16.5.2021)