Finanzminister Gernot Blümel war mit seiner Privatanklage gegen einen reichweitenschwachen Twitter-Nutzer strafrechtlich und medienrechtlich erfolgreich. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Foto: Corn

"Die jetzige türkise Führung ist nur mehr korrupt und machtgeil. Und wenn mich auch der laptoplose Blümel verklagt, diese Partei ist vergesslich oder korrupt." Diese Zeilen schrieb Wolfgang P. Anfang März auf seinem Twitter-Account. 200 Follower hatte der pensionierte Informatiker damals, mittlerweile sind es 900. "Der Streisand-Effekt", wie Strafrichterin Nicole Baczak zu Beginn der Verhandlung diagnostizierte.

Denn Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) hat P. insofern Prominenz verschafft, als er seinen Tweet zum Teil verwirklicht hat. Er hat nämlich Privatanklage gegen ihn erhoben und ihn des Delikts der üblen Nachrede beschuldigt.

Alte und neue ÖVP

Am Wiener Straflandesgericht war Blümel am Freitag freilich nicht selbst zugegen, sondern ließ die Anklage durch Ulrike Zeller vertreten, die an der Kanzlei von ÖVP-Anwalt Werner Suppan beteiligt ist. Sie argumentierte, dass Blümel als Person von dem Tweet konkret betroffen war, auch wenn der Vorwurf der Korruption wörtlich nur auf die ÖVP als Partei bezogen wurde. Immerhin werde Blümel im Satz davor namentlich erwähnt. Hinzu komme, dass die Formulierungen "laptoplos" und "vergesslich" offenkundig auf den Finanzminister gemünzt seien.

P.s Anwältin Maria Windhager trat dieser Interpretation entgegen und plädierte auf Freispruch. Sie versuchte das Geschriebene in den größeren politischen Zusammenhang zu rücken: denn P. hatte im selben Tweet darauf reagiert, dass die ÖVP – mit Ausnahme von Othmar Karas – dem ungarischen Staatschef Viktor Orbán auf EU-Ebene bei einer Abstimmung die Stange gehalten hatte. "Karas ist eben noch ein Konservativer, den ich akzeptiere. So wie Busek oder Mauthe", hatte der Angeklagte daher seiner antitürkisen Polemik vorausgeschickt. Es sei ihm also um eine politische Kritik an der Haltung der Neuen ÖVP gegangen, die sich von Werten bürgerlichen Anstands entfernt habe, analysierte Windhager.

Was bedeutet "korrupt"?

Außerdem, führte P. aus, habe er den Begriff "korrupt" nicht in einem strafrechtlichen Sinne gemeint, sondern als Synonym für moralische Verwerflichkeit. So sei etwa die Bestellung von Thomas Schmid zum Öbag-Vorstand in einem moralischen Sinne korrupt gewesen, selbst wenn strafrechtlich nichts dran sei. Windhager legte auch Medienberichte vor, um diesen semantischen Gehalt von "korrupt" zu belegen. So hat der "Falter" jüngst ein Cover mit abgebildeten ÖVP-Granden als "schrecklich korrupte Familie" übertitelt.

ÖVP-Anwältin Zeller entgegnete: Selbst wenn Blümel keine Straftat unterstellt worden sei, für üble Nachrede reiche schon der Vorwurf moralisch unehrenhaften Verhaltens – und den habe P. zum Ausdruck gebracht.

"Gute Nacht Österreich"

Eine Einschätzung, der sich die Richterin anschloss. Sie verurteilte P. zu einer Geldstrafe von 4.200 Euro, 1.050 davon unbedingt. Zudem muss er Blümel 100 Euro Entschädigung nach dem Mediengesetz zahlen, dem er als Medieninhaber seines Twitter-Accounts unterliegt. Als Teil der türkisen Führungsriege sei Blümel vom Tweet sicherlich mitgemeint, erklärte Baczak. Zudem könne sie den Begriff "korrupt" nicht gleichsam "freigeben", weil ihn sonst alle Medien "von 'Krone' bis 'Oe24'" bedenkenlos verwenden könnten.

Anwältin Windhager hatte Baczaks Urteil wohl schon antizipiert, als sie in ihrem Schlussplädoyer betont hatte: "Ein allgemeiner moralischer Gesinnungsvorwurf muss im politischen Diskurs gegen die ÖVP zulässig sein. Wenn man das nicht mehr sagen kann, dann gute Nacht Österreich, dann ab nach Straßburg!" Noch ist der dort ansässige Europäische Menschenrechtsgerichtshof freilich lange nicht am Zug. Zunächst einmal wird sich das Oberlandesgericht Wien mit der Causa befassen müssen, denn Windhager legte für ihren Mandanten ohne zu zögern Berufung ein. Das Urteil ist daher nicht rechtskräftig. (Theo Anders, 27.8.2021)