Es wird immer unangenehmer da draußen. Das Jahr 2021 ist ein mittleres Desaster, man kann das so sagen. Manche hatten die Hoffnung, mit Silvester 2020 endet das Krisenjahr. Doch zuerst verharrten wir über Wochen in einem wirkungsschwachen Lockdown. Im Sommer begann die Welt zu glosen, andere Teile der Erde gingen sinnbildlich unter in der Flut. Hitzerekorde, Starkregen, ein Tornado unweit von Wien; kaum waren die Corona-Zahlen erstmals wieder unbedenklich, machte sich Delta breit, und die Taliban eroberten Kabul.

Die Coronavirus-Krise ist für Regierungen und für die Bevölkerung eine große gesellschaftspolitische Herausforderung.
Foto: Imago/Jürgen Heinrich

Inzwischen setzt all das oder etwas davon wohl jedem zu. In quasi biblischer Reihenfolge wartet man nach Pandemie und Flut nun eigentlich nur noch auf die Heuschreckenplage. Viele Menschen können oder wollen nicht mehr, es kommt gerade vieles zusammen, da ist das auch verständlich.

Es wurde dadurch aber auch unangenehmer unter uns, in den sogenannten sozialen Netzwerken, auf der Familienfeier, unter Kolleginnen und Freunden, im Politbetrieb – und zumindest dagegen kann jeder etwas tun, der will. Denn das Gesprächsklima ist menschengemacht, daran wird niemand zweifeln. Es liegt an jedem Einzelnen und schlussendlich an uns allen.

Verhärtete Fronten

Und derzeit zeigt sich ganz klar: Die Krise hat viele Menschen reizbarer gemacht. Debatten werden immer hitziger geführt, selbst dann, wenn eigentlich der Zündstoff fehlt. Zuletzt war es sogar ein kollektiver Streitfall, ob in irgendeinem Bad in Niederösterreich Frauen an einem einzigen Nachmittag eine gewisse Zone ohne Männer beanspruchen können, wenn das privat organisiert wird. Ärgerlich ist das vielleicht für einen Mann, der an genau diesem Tag exakt dort schwimmen wollte. Alle anderen sollten sich wirklich fragen, was sie hier eigentlich provoziert.

Das größte Konfliktthema des verblühenden Sommers ist aber natürlich das Impfen. Die Fronten sind verhärtet. Beide Seiten – Geimpfte und Impfgegner – unterstellen einander, nicht ganz bei Trost zu sein. Und so sehr die Anstrengung richtig ist, Menschen vom Impfen zu überzeugen: Es wird nicht passieren, indem wir einander anbrüllen und Hassnachrichten schicken, indem wir keifen, verzweifeln und einander verachten.

Vielleicht muss man einen Schritt zurücktreten, Fakten wieder trockener bewerten: Es gibt Menschen in Österreich, die sich nicht impfen lassen werden, nie. Zumindest nicht, ohne dass die Staatsgewalt sie bedrängt und zwingt. Das ist tragisch für die Bekämpfung dieser Pandemie. Das ist fast unerträglich, wenn man an ungeimpfte Kinder, Risikogruppen, überfüllte Spitäler denkt. Aber es wird nur schlimmer, indem wir den Spalt, der sich durch die Gesellschaft zieht, noch tiefer werden lassen.

Es kann in niemandes Sinne sein, dass das Impfen in Österreich denselben Effekt hat wie Donald Trump in den USA, der sein Land entzweit und Familien geteilt hat. Lassen wir uns doch nicht spalten – trotz allem. Wir müssen die Gefahr sehen und das ganz große Übel verhindern, nämlich einen Glaubenskrieg, der zum Nährboden für Gewalt wird.

Wir könnten als Gesellschaft wieder einen Gang zurückschalten, uns damit abfinden, dass in einem pluralistischen Staat Meinungen auch diametral zueinander stehen. Sollten weitere Plagen und der Weltuntergang ausbleiben: Wir müssen es ohnehin noch länger miteinander aushalten. (Katharina Mittelstaedt, 6.9.2021)