Roland Karner trägt mal ein T-Shirt der Liste MFG (Menschen, Freiheit, Grundrechte), mal hält er einen Aufstecker in die Kamera: einen gelben "Judenstern". Anstelle des Worts "Jude" ist die Aufschrift "Ungeimpft" zu lesen. Es sind Schnappschüsse aus dem reichen Œuvre eines Stimmungsmachers, der emsig Werbung für die MFG und gegen Maßnahmen rund um den "Egoistenschnupfen" macht. Die Impfung bezeichnet Karner als "Genplörre", "Egoistenserum" und "das größte Verbrechen", das er kenne. Der Salzburger Ergotherapeut zieht seit gut einem Jahr als "Gesundheitsmechaniker" mit der Schwerdenker-Szene durch die Lande und beschwört bei jeder unpassenden Gelegenheit, dass die Bewegung selbstverständlich nichts mit rechtem Gedankengut auf dem Hut hat. Karner steht stellvertretend für eine Schar bizarrer Influencer, die der MFG und deren nach außen hin bürgerlich auftretenden und mitunter medioker wirkenden Kandidaten in Oberösterreich den Boden bereitet haben. 

Der Erfolg der MFG ist nicht überraschend

Der Einzug der MFG in den oberösterreichischen Landtag und eine Reihe von Gemeindevertretungen hat viele überrascht. Das ist das eigentlich Überraschende. Mit dem Erfolg der MFG poppt lediglich auf, was in Österreich seit jeher unter einer dünnen Schicht Vernunft schwelt: die Geringschätzung von Wissenschaft, der lässige Umgang mit pseudomedizinischem Humbug und die Nonchalance im Umgang mit antisemitischen und rechtsextremen Chiffren. 

Wir ernten, was etablierte Institutionen gesät haben

Ein kleines Potpourri zu pseudomedizinischem Unfug, der von etablierten Institutionen des Landes akzeptiert oder mitgetragen wird: 

  • Die Apotheke der Präsidentin der Apothekerkammer empfahl vor kurzem "quantenphysikalisch informierte Salzlösungen", um Impfstoffe "auszuleiten".
  • Die Ärztekammer vergibt Fortbildungspunkte für Pseudoverfahren wie Homöopathie. Im Netz findet man seit fast zehn Jahren ein Paper des "Referats für Ganzheitsmedizin" der Ärztekammer Wien mit Vorschlägen für einen viersemestrigen Lehrgang. Ein Modul sollte sich dem Thema "Geistheilung" widmen.
  • Die Webseite des Gesundheitsministeriums listet unter dem Menüpunkt "Komplementärmedizin" die "Lehren" Homöopathie und Anthroposophische Medizin ebenso wohlwollend wie kommentarlos auf und orakelt zum Thema: "Spiritualität als Teil einer ganzheitlichen Auffassung von Gesundheit spielt ebenfalls häufig eine Rolle."

Ehrenkreuz der Republik für die Scharlatanerie

  • Die Republik verlieh dem Tiroler Johann Grander im Jahr 2001 das "Ehrenkreuz für Wissenschaft". Der ehemalige Tankstellenpächter hatte die grandiose Idee, österreichisches Quellwasser als "belebtes Wasser" zu etikettieren. Zahlreiche Kliniken des Landes fielen auf diesen Schmäh herein, installierten "Grandertechnologie" und verhalfen den Tiroler Wasserbelebern - oftmals mit öffentlichen Geldern - zu Millionenumsätzen.

Mit anderen Worten: Wir wundern uns in Österreich ernsthaft über den Erfolg einer Pop-up-Partei, die an der Sinnhaftigkeit von Impfungen zweifelt und die auf Evidenz und Wissenschaftlichkeit pfeift?  

"Nicht alles kann so schlimm gewesen sein damals"

Der bodenständige Widerstand gegen die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Geschichte des Landes kristallisierte sich jahrzehntelang an Sagern wie diesem: "Es war nicht alles schlecht damals." Im Soziotop der MFG-Anhänger verpasst man der Sache einen neuen Spin: "Uns geht es heute so ähnlich wie damals". Mit dem oben erwähnten Sujet mit der Aufschrift "Ungeimpft" auf einem "Judenstern", mit Begriffen wie "Coronazi-Dikatur" und ähnlichem, signalisiert diese ebenso unsägliche wie ungustiöse Szene zweierlei. Erstens: Ich werde heute als Ungeimpfter oder Maßnahmenkritiker so schlecht behandelt wie ein jüdischer Bürger oder ein Widerstandskämpfer zur Zeit des Nationalsozialismus. Und zweitens, mit einem Augenzwinkern, das man sich dazu denken darf: So schlimm kann das damals nicht gewesen sein im Konzentrationslager. Zwischen den Zeilen lesen wir: Maskenpflicht, Lockdowns und 3G-Regeln bringen uns heute ja auch nicht um, ein wenig unbequem ist und war die Sache, mehr nicht. Die Perfidie und die Abscheulichkeit der Vergleiche mag uns empören, die Szene rund um Querdenker und die Partei MFG zelebriert derlei Anspielungen mit geradezu sinnlicher Freude und perfider Lust an der Provokation.

Die MFG-Partei rund um Parteichef Joachim Aigner (2. v. rechts).
Foto: APA/TEAM FOTOKERSCHI

Die MFG erntet, was die FPÖ gesät hat

Wissenschaftsfeindlichkeit hatte schon bisher eine politische Heimat: rechte und populistische Parteien. Egal ob Klimakatastrophe oder Impfung, mit Hingabe demonstrieren Populisten weltweit, dass ihnen über den Buckel rutschen kann, wer sich auf den wissenschaftlichen Konsens beruft. Was sind tausende Wissenschafter, die sich einig sind gegen tausende Wutbürger in den Echokammern der Sozialen Medien, die sich auch einig sind darüber: Von den  angeblichen Experten lassen wir uns nichts sagen, wissenschaftlichem Konsens setzen wir den Kalauer entgegen, der Evidenz begegnen wir mit Gejohle? Von FPÖ-Parteichef Herbert Kickl bis zu den Chauvinisten der indischen Regierungspartei BJP ist es da kein weiter Weg. Ersterer schwört auf sein gutes Immunsystem im kruppstahlharten Volkskörper, letztere gurgeln schon mal Kuhurin, um mit verklärter Hinduromantik gegen Corona-Viren gewappnet zu sein. Bleibt nur zu hoffen, dass Kickl jetzt nicht auf dumme Gedanken kommt und bei der nächsten Pressekonferenz eine Kuh mitbringt.

Dass die MFG in Oberösterreich den ersten Erfolg landet, passt zur politischen Landkarte. Oberösterreich ist das Bundesland mit der niedrigsten Impfquote und das einzige, in dem die FPÖ bis dato in einer Regierungskoalition sitzt. Die Freiheitlichen haben das Terrain gut aufbereitet und die Saat gesät, die MFG hat geerntet. Von keiner anderen politischen Partei konnten die politischen Neueinsteiger der MFG so viele Stimmen abziehen wie von der FPÖ. Die beiden Parteien werden in einen harten Wettbewerb treten: beim Kampf um Wähler aus der Esoterik- und Schwurbelecke, bei der Verächtlichmachung von Wissenschaft, der Verhöhnung von Experten, unappetitlichen Vergleichen. Ein Niveaulimbo darf befürchtet werden. (Christian Kreil, 6.10.2021)

Christian Kreil bloggt seit drei Jahren rund um Esoterik, Verschwörungsplauderei und Pseudomedizin. Soeben erschien sein Buch "Fakemedizin".