Wiener Polizeibeamtinnen und -beamte in einer Einkaufsstraße. Das Geschäft soll so wenig wie möglich beeinträchtigt werden – auch durch Kundgebungen?

foto: apa/Fohringer

Wien – Am kommenden Wochenende sind in der Bundeshauptstadt Kundgebungen und Demonstrationen prinzipiell erst ab 18 Uhr möglich, das bestätigte die Polizei gegenüber "Radio Wien". Grund dafür ist das einzige Einkaufswochenende im Advent – aufgrund der Schließung während des Lockdowns dürfen die Geschäfte auch am Sonntag öffnen. Auch sämtliche für Samstag tagsüber angezeigten Demonstrationen der Corona-Maßnahmen-Gegner werden untersagt.

"Wir prüfen sorgfältig jede Anzeige und müssen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gegen das Grundrecht der Handelstreibenden auf Erwerbsfreiheit abwägen. Gerade am einzigen Einkaufswochenende im Advent wird die Landespolizeidirektion Wien den Interessen des Handels dabei besonderes Augenmerk widmen", so Polizeisprecher Markus Dittrich.

Einvernehmliche Lösung wurde gesucht

Schon bei der polizeilichen Kundgebungsvorbesprechung des für Sonntagabend entlang des Wiener Rings und Kais geplanten Kerzenspaliers oder Lichtermeers zum Gedenken an die mehr als 13.000 Corona-Toten in Österreich war die Stimmung am Mittwoch höchst gespannt. Mit den jeweiligen Demo-Organisatoren versuche man einvernehmliche Lösungen zu finden. Entweder könne die Beginnzeit der Kundgebung verlegt werden oder aber der Ort. Wer bereits um 12.00 Uhr demonstrieren wolle, könne dies etwa im Prater tun. Besteht man auf der Innenstadt als Ort, müsse man die Schließzeit der Geschäfte um 18.00 Uhr abwarten.

Das soll der höchstrangige anwesende Jurist des Referats für Vereins-, Versammlungs- und Medienrechtsangelegenheiten in der Landespolizeidirektion (LPD) gesagt haben. So zumindest schilderte es der bei der Sitzung für die Anmelder anwesende grüne Wiener Landtagsabgeordnete und Menschenrechtssprecher Nikolaus Kunrath. Der Lehrer und Polit-Aktivist Daniel Landau, der die Kerzenaktion gemeinsam mit dem Innsbrucker Roman Scamoni plant und ebenfalls vor Ort war, bestätigt das.

Kerzenspalier erst ab 18.30 Uhr

Das Kerzenspalier am Sonntag sollte ursprünglich ab 16:30 Uhr gebildet werden. Um 17 Uhr wollte man mit brennenden Kerzen eine Schweigeminute abhalten – unter Wahrung eines Corona-kompatiblen Abstands von eineinhalb Metern von Person zu Person und Maskenpflicht. Die Organisatoren beginnen ihre Veranstaltung nun aber statt um 16.30 Uhr erst um 18.30 Uhr.

Die Aktion könne frühestens um 20 Uhr starten, soll es zunächst geheißen haben. Nach verbalen Protesten und einigem Hin und Her habe man sich auf Spalierbildung um 18.30 Uhr und Schweigeminute um 19 Uhr geeinigt.

Angst ums Weihnachtsgeschäft

Grund für die Verschiebung in den Abend sei laut Polizei eine "Bitte der Wiener Wirtschaftskammer", sagt Organisator Kunrath. Nachdem der vergangene Corona-Lockdown erst vor kurzem geendet hat, solle das an diesem Wochenende erwartete Weihnachtsgeschäft, das sich diesmal auch auf den Sonntag erstreckt, möglichst nicht behindert werden.

Das Kerzenspalier nämlich werde den Auto- und Öffi-Verkehr auf Ring und Kai unterbrechen, was das Weiterkommen kaufbereiter Menschen erschwere. Kunrath überzeugt das nicht. Zwar sei auch die Erwerbsfreiheit ein hohes rechtliches Gut. "Aber wenn die Meinungsfreiheit von der Wirtschaftsleistung abhängig gemacht wird, ist das eine zweischneidige Angelegenheit."

Die impfkritische Partei MFG, die am Samstag am Schwarzenbergplatz eine Kundgebung abhalten will, möchte die Demonstrationsverbote nicht hinnehmen. Die Untersagung einer Versammlung zum Zweck des ungehinderten Shoppings höhle die Versammlungsfreiheit aus. Demonstrationen seien typischerweise mit einer gewissen Belastung von Einkaufsstraßen verbunden – und eine Versammlung in einem wenig besuchten Park weit außerhalb des zentralen Stadtgebietes wäre "völlig sinnentleert", da man seine Meinung damit ja niemand zeigen könne, hieß es in einer Aussendung.

Nur "gewichtige Gründe" zählen

Auch laut dem Verfassungsrechtsexperten Bernd-Christian Funk muss es "gewichtige Gründe" für derartige Einschränkungen geben. Diese seien etwa dann gegeben, wenn aufgrund einer Kundgebung Zugang und Zufahrt in die City völlig verunmöglicht würden.

Bei der Wiener Wirtschaftskammer sagt ein Sprecher, mehr als einen Appell an Demo- und Kundgebungsorganisatoren, auch an das Interesse der Kaufleute zu denken, habe es von ihrer Seite nie gegeben.

"Unsere Unternehmen haben durch den Lockdown und Einschränkungen bereits schwere finanzielle Verluste in der ohnehin so wichtigen Weihnachtszeit hinnehmen müssen", meinte Wirtschaftsbund-Generalsekretär Kurt Egger in einer Aussendung. "Wir fordern deshalb eine österreichweite Weihnachtsruhe für Demonstrationen am kommenden Wochenende." Diese solle selbstverständlich nur für das Einkaufswochenende vor Weihnachten und Tourismuszonen gelten und zu keinen weiteren Einschränkungen der demokratischen Grundrechte führen. (Irene Brickner, red, 16.12.2021)