Christa Schleper in ihrem Labor an der Universität Wien. Hier entdeckte sie auch ein nach Wien benanntes Archaeon, das besondere Eigenschaften hat.

FWF / Daniel Novotny

Schon als Biologiestudentin wollte Christa Schleper an etwas Sinnvollem forschen. Deshalb hatte sie fast ein schlechtes Gewissen, dass sie sich für ein damals eher abseitiges Thema interessierte, nämlich Archaeen. Dennoch schrieb sie über diese Mikroorganismen, die an extremen Standorten wie Hydrothermalquellen am Meeresgrund leben können, zunächst ihre Diplomarbeit. Und auch noch in ihrer Dissertation ging es um diese Mikroben, die wie Bakterien keinen Zellkern haben und deshalb zu den sogenannten Prokaryonten zählen.

Doch dann wollte die damalige Nachwuchswissenschafterin in die Immunologie wechseln, die ihr sinnvoller erschien. Denn was kann die Erforschung dieser Mikroorganismen zur Lösung von drängenden Problemen beitragen? Trotz eigener Bedenken folgte Schleper dann aber doch weiter ihrer Leidenschaft. Sie forschte als Postdoc zunächst in den USA (konkret: am California Institute of Technology (Caltech) und an der University of California Santa Barbara) weiter über Archaeen – und machte damit im Rückblick alles richtig.

Ökologische und ökonomische Bedeutung

Denn nach und nach zeigte sich nicht zuletzt durch ihre eigenen Arbeiten, wie sinnvoll die Erforschung dieser Mikroorganismen ist. So etwa spielen von Schleper entdeckte Archaeen eine bedeutende Rolle in den Stoffkreisläufen unserer Böden. Damit können ihre Erkenntnisse zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft und zum Schutz des Klimas beitragen. Einer ihrer Mitarbeiter hat sogar eine Firma gegründet: Für die Herstellung von Biogas sind Archaeen nämlich auch wichtig.

Etliche ihrer wichtigsten Forschungsleistungen gelangen der 1962 in Oberhausen in Deutschland geborenen Schleper in Österreich, wo sie – nach einigen Jahren in Norwegen und dank einer Doppelberufung durch die Uni Wien – seit mittlerweile 15 Jahren forscht. Während Schleper damals Professorin für Mikrobiologie wurde, erhielt ihr Ehemann Ulrich Technau, mit dem sie zwei mittlerweile volljährige Töchter hat, gleichzeitig eine Professur für Evolutionsbiologie.

Archaeen aus dem Alsergrund und vor Island

Nach Wien ist übrigens auch eine der wichtigsten Entdeckungen von Schleper und ihrem Team benannt: Nitrososphaera viennensis, das erste ammoniumoxidierende Archaeon, das 2011 in Reinkultur isoliert werden konnte – und ursprünglich aus dem Garten des damaligen Universitätszentrums Althanstraße im 9. Wiener Gemeindebezirk stammte.

Die Mikrobiologin ist aber weiterhin auch an Archaeen an Hydrothermalquellen interessiert: 2015 war sie etwa an jener Publikation hauptbeteiligt, in der erstmals über sogenannte Lokiarchaeen berichtet wurde, die in Proben aus Untersee-Vulkangebieten nahe Island gefunden wurden. Das ist eine spezielle Gruppe von Archaeen, die sich als die engsten Verwandten der einen Zellkern besitzenden Lebewesen (Eukaryonten) entpuppten und damit als ein Missing Link bei der Entstehung von komplexen Lebensformen gelten.

Oft zitiert und mehrfach ausgezeichnet

Solche und andere Entdeckungen in rund 150 Publikationen trugen wiederum dazu bei, dass die Mikrobiologin heute zu den meistzitierten Forschenden des Landes zählt. In den Jahren 2019 und 2020 zählte sie der Datenkonzern Clarivate Analytics sogar zu den "Highly Cited Researchers", also zu jener illustren Gruppe, die in ihrem jeweiligen Feld das oberste Prozent der am häufigsten zitierten Wissenschafterinnen und Wissenschafter weltweit repräsentieren.

Damit war Schleper aber auch indirekt mitverantwortlich dafür, dass dieser einst esoterische Forschungsbereich international boomt und dass seine Relevanz längst außer Zweifel steht.

Quasi als krönende Anerkennung für diese Leistungen erhielt Schleper nach einem renommierten ERC-Grant 2016 nun auch den diesjährigen Wittgenstein-Preis, Österreichs wichtigste Wissenschaftsauszeichnung, die vom Wissenschaftsfonds FWF vergeben wird. Anders als das Geld des Nobelpreises müssen die 1,5 Millionen Euro des Wittgenstein-Preises wieder in wissenschaftliche Projekte gesteckt werden – im konkreten Fall selbstverständlich in die höchst sinnvolle Erforschung von Archaeen. (Klaus Taschwer, 22.6.2022)