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PRO: Um der Psyche willen

von Irene Brickner

Behördliche Anweisungen, sich wegen einer Infektionserkrankung in Quarantäne zu begeben, gab es vereinzelt auch vor Corona – etwa im Fall von Tuberkulose, solange die betroffene Person den Erreger ausscheidet. Mit dem Auftauchen von Covid wurden derlei Auflagen jedoch zur Massenerfahrung.

Seitdem fügt sich das Aus-dem-Verkehr-Ziehen in den Reigen der Maßnahmen gegen die Virusverbreitung ein. Das hat vielen Menschen das Leben gerettet oder sie vor einer schweren Covid-Erkrankung bewahrt – doch es hat auch geschadet: In Verbindung mit Ansteckungsängsten, Lockdowns und Homeoffice bei gleichzeitigen Schulschließungen haben die zum Teil wochenlangen Absonderungserfahrungen bei vielen Menschen psychische Narben hinterlassen. Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen haben stark zugenommen.

Aus diesem Grund sollte die Covid-Quarantäne, die noch dazu mit Strafen im Fall eines Verstoßes verbunden ist, zurückgenommen werden, sobald es wissenschaftlich verantwortbar ist. Als Richtschnur könnten dabei Erfahrungen in anderen Ländern dienen, in denen die Absonderung bereits abgeschafft wurde. Die letzten Infektionswellen sind dort offenbar nicht schlimmer ausgefallen als in Österreich. Erhärtet sich das, so ist das auch ein Argument gegen die leider zutreffende Feststellung, dass Maßnahmenrücknahmen in Österreich meist als Aufforderung zum Laisser-faire missverstanden werden. (Irene Brickner, 15.7.2022)

KONTRA: Ausgestreckter Mittelfinger

von Colette M. Schmidt

Eine Corona-Infektion ist eine meldepflichtige Krankheit nach dem Epidemiegesetz. Immer noch. Anders als ein Influenzavirus kann das Coronavirus Veränderungen im Gehirn bewirken. Böse Zungen meinen gar, das Verhalten einiger während der Pandemie sei dafür Beleg genug. Zudem gibt es immerhin auch Long Covid, das Menschen, auch geimpfte, die weder alt sind noch vorerkrankt waren, Monate niederstrecken kann. Aus der Gecko-Kommission hört man nun, Menschen würden sich aus Angst vor Absonderung nicht mehr testen. Dass sie sich vielleicht wegen der stark reduzierten Testmöglichkeiten weniger testen lassen, kommt dort offenbar niemandem in den Sinn.

Vulnerable Gruppen haben in den letzten zwei Jahren gelernt, dass sie in der Debatte darüber, wie viel Schutz die Gesellschaft ihnen gewähren soll, am besten den Mund halten und zu Hause bleiben. Letzteres ist freilich für Berufstätige, Studierende und Schülerinnen und Schüler meist unmöglich.

Wenn man mit den Quarantäneregeln den letzten Schutzdamm einreißt und Infizierte – vielleicht sogar ohne Maske – am öffentlichen Leben teilnehmen lässt, ist das auch für die sich langsam wieder füllenden Spitäler gefährlich und ein falsches Zeichen. Es signalisiert jenen, die trotz Mehrfachinfektionen immer noch von Herdenimmunität träumen, das Virus werde für alle ungefährlich. Für Vulnerable sowie Pflege- und Gesundheitsberufe aber ist das ein ausgestreckter Mittelfinger. (Colette M. Schmidt, 15.7.2022)