Der Kommentar von Kardinal Christoph Schönborn "Finding design in nature" in der New York Times hat großen publizistischen Wirbel ausgelöst. Worum geht es?

Zunächst: Worum geht es nicht? Es geht nicht um die Deszendenztheorie, nach welcher die verschiedenen Arten des Lebendigen in genealogischem Zusammenhang stehen. Die christliche Theologie hat den Gedanken einer sich über Jahrmillionen hin erstreckenden "kontinuierlichen Schöpfung" und eines möglichen Abstammungsverhältnisses des Menschen zu vormenschlichen Lebewesen seit Langem akzeptiert. Und umgekehrt: Evolutionstheoretiker haben Darwins Hypothesen wesentlich verfeinert. Die Genetik lässt uns die Mutationen neu und besser verstehen, auch verhält sich der moderne Evolutionismus im Unterschied zu dem des 19. Jahrhunderts nicht religionsfeindlich, sondern versucht, der Religion im Rahmen der Überlebensstrategien der menschlichen Art eine funktionale Nische zuzuweisen.

Wo aber liegt der konkrete Konfliktstoff? Er liegt in der These, der Prozess der Entwicklung der Arten des Lebendigen sei nur verstehbar, wenn wir annehmen, dass ihm ein intelligenter Plan, ein "Design" zugrunde liegt.

Diese These ist es, die von vielen Evolutionsbiologen bestritten wird. Das Ziel ihrer ganzen Forschungsbemühungen ist es ja, alle Schritte dieses Prozesses so zu rekonstruieren, dass der Gedanke von so etwas wie einem Ziel daraus gänzlich fern gehalten wird. Vorteile zufälliger genetischer Veränderungen für die jeweilige Ausbreitung einer Genstruktur genügen zur Erklärung der Entstehung neuer Phänotypen, einschließlich dem des Menschen.

Wohlwollende Kritiker der "Design-Theorie" geben ihren Vertretern zu bedenken, dass sich Gläubige mit ihr in eine unkomfortable Lage begeben. Sie siedeln ihre Überzeugung in den Nischen des einstweilen noch nicht Erklärten an, aus denen sie immer wieder von Neuem vertrieben werden. Mehr taktisch und pastoral als an Wahrheitsfragen orientierte Theologen versuchen es denn auch seit Langem mit einer Immunisierungsstrategie: Um sich keinesfalls mit der Wissenschaft anzulegen, vermeiden sie es, überhaupt irgendetwas zu behaupten, was in den Bereich des Empirischen und deshalb im Prinzip Falsifizierbaren fällt. Der Preis, den sie dafür bezahlen, ist allerdings die Trivialisierung ihrer Botschaft. Jeder kann ihr zustimmen, weil sie keine belangvolle Information enthält. Und diesen Preis wollte Kardinal Schönborn offenbar nicht zahlen.

Worum es geht, lässt sich vielleicht am besten mit dem Anfang eines Gedichts von Matthias Claudius sagen: "Ich danke Gott und freue mich/ wie's Kind zur Weihnachtsgabe,/ dass ich bin, und dass ich dich,/ schön menschlich Antlitz habe."

Gibt es einen Grund, jemandem für das Menschsein zu danken, ja oder nein? Die "Design-Anhänger" haben zweifellos den gesunden Menschenverstand für sich, der zu allen Zeiten in der Natur Spuren des Schöpfers sah.

Und mir scheint, dass die Annahme einer göttlichen Absicht hinter dem Evolutionsprozess indifferent ist gegen das Ergebnis der Versuche, den Prozess unter Ausklammerung dieser Absicht zu erklären. Die Ereignisse in einem Film folgen nach der Logik der Story des Films aufeinander, und der Ziegel, der im Film einem Menschen auf den Kopf fällt, ist die "innerfilmische" Ursache des Todes dieses Menschen. Wir können den ganzen Vorgang verstehen, ohne zu wissen, dass die eigentliche Ursache der Filmstreifen und der Projektor ist, der im Film selbst nicht vorkommt. Göttliche Schöpfung und Weltregierung sind nach der klassischen Schöpfungsphilosophie jüdischer, muslimischer und christlicher Provenienz eben sowohl Ursprung der Naturgesetze wie der Interferenzen physikalischer Prozesse, die wir Zufall nennen.

Die Frage lautet nun: Gibt es im Film selbst Vorkommnisse oder Strukturen, die als Spuren des Autors oder des Projektors gelesen werden können? Im Klartext: enthält die Welt des Lebendigen Spuren einer Absicht? Und wenn ja, sind diese Spuren zwingend?

Wir müssen hier unterscheiden zwischen der Entstehung der Arten des Lebendigen einerseits, und der Entstehung von Leben und Bewusstsein. Was die Entstehung der differenzierten Naturgebilde betrifft, so wird niemand die Menschen daran hindern können, in ihnen immer wieder die Kunst eines Schöpfers ebenso zu bewundern, wie dies Einstein mit Bezug auf die so überwältigend einfachen Naturgesetze tat.

Wenn die Buchstaben, die aus einem Sack geschüttet werden, sich in der Form nebeneinander legen, die den Prolog des Johannesevangelium ergibt, dann wissen wir, dass diese zufällige Kombination nicht unwahrscheinlicher ist als jede einzelne andere ebenso zufällige. Und doch werden wir uns weigern, an Zufall zu glauben, weil sich diese Kombination von Billionen anderen durch ihren Sinn auszeichnet.

Für den Gläubigen ist die Natur, ungeachtet der Mechanismen ihres Zustandekommens, ein Buch mit einer Botschaft, vor allem ästhetischer Art. Niemand kann gezwungen werden, diese Botschaft wahrzunehmen. Das bloße Funktionieren hochkomplexer Überlebensmechanismen nötigt uns nicht zu dieser Wahrnehmung. Wenn deren Entstehung sich ohne Rückgriff auf ein Design aufklären lässt, dann braucht niemand dagegen einzuwenden haben.

Anders verhält es sich mit den beiden elementaren Phänomenen, die sich einer solchen Aufklärung aus prinzipiellen Gründen verschließen, der Entstehung des Lebens und der Entstehung des denkenden Bewusstseins.

Die neuzeitliche Wissenschaft steht unter dem Motto, das Thomas Hobbes so formulierte, eine Sache erkennen heiße, "to know what we can do with it when we have it". Die Entstehung von Leben kann aber auf diese Weise nicht aufgeklärt werden. Rekonstruiertes Leben, Simulation von Leben ist nicht Leben. Leben ist nicht ein Aggregatzustand von Materie, Leben ist das Sein des Lebendigen. Der tote Löwe ist nicht in einem anderen Zustand, sondern er ist nicht mehr. Leben ist Aus-sein auf Sein, Trieb, Innerlichkeit, Subjektivität. Die rekonstruierende Wissenschaft aber hat es immer nur mit Objektivität, mit "Äußerlichkeit" zu tun.

"Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?", lautet ein berühmter Aufsatz von Thomas Nagel. Es hätte keinen Sinn zu fragen, wie es ist, ein Computer zu sein. Ein Computer ist nur für uns ein Computer. Er ist nicht an sich selbst eine Einheit. Und ebenso verhält es sich mit dem denkenden Bewusstsein, also mit dem Bewusstsein von Menschen, die "ich" sagen, für ihr eigenes Sein danken, Mathematik treiben, andere Lebewesen und andere Menschen nicht nur als Umwelt, sondern als eigene Wirklichkeitszentren wahrnehmen und anerkennen können.

Wenn Leben und Vernunft erst spät in der Geschichte des Universums auftreten, so kann dieses Auftreten doch nicht als Variation dessen, was schon vorher war, verstanden werden. Es ist etwas Neues. Wie immer es entstanden sein mag, es hat sich von seinen Entstehungsbedingungen emanzipiert und ist "es selbst".

Wenn es überhaupt einen Grund hat, dann kann dieser Grund nur selbst von der Art der Innerlichkeit sein, und das heißt: eine Absicht. (Robert Spaemann/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23./24. 7. 2005)