Michael Nigitz-Arch

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derStandard.at: Wie äußert sich die Flugangst bei den betroffenen Menschen?

Nigitz-Arch: Das ist bei jedem unterschiedlich. Generell ist es aber weniger die Angst vor dem Absturz, sondern die Höhe, die Enge, das Ausgeliefertsein bereiten Probleme. Es ist für jemanden zum Beispiel kein Problem mit dem Fahrrad bei 90 km/h den Großglockner hinunterzufahren. Aber bei der Vorstellung, dass er im Flugzeug sitzt, die Türen gehen zu und er kommt nicht mehr raus, ist es aus.

derStandard.at: Was weiß man über die Ursachen der Flugangst?

Nigitz-Arch: Darüber streitet man sich. Sicher gibt es eine Disposition, zum Beispiel wenn die Eltern auch schon mit Ängsten zu tun hatten. Auch die heutigen Lebensbedingungen fördern Ängste, sie steigen rapide an genau so wie die Allergien. Hauptgrund ist der starke Stress, dem wir ausgesetzt sind. Der finanzielle und berufliche Druck ist sehr hoch in unserer Gesellschaft, wir leben sehr schnell und auch das wirkt angstfördernd. Den Ängsten liegen oft auch Traumatisierungen zugrunde, auch Missbrauchserlebnisse in der Kindheit können die tiefer liegende Ursache sein.

derStandard.at: Mit welchen Symptomen hat jemand, der an Flugangst leidet, zu kämpfen?

Nigitz-Arch: Es ist eine Unsicherheit, die bis zu den Symptomen einer Panikattacke gehen kann. Die körperlichen Auswirkungen sind starkes Schwitzen, Zittern, das beengende Gefühl macht wiederum Angst einen Herzinfarkt zu kriegen. Ich will in der Situation eigentlich nur mehr flüchten und das geht im Flugzeug nicht.

Im Flugzeug befinden wir uns auch in einer außergewöhnlichen Situation, die unser Körper nicht kennt. Kommt dann noch etwas dazu, zum Beispiel Übelkeit nach einer Mahlzeit oder Turbulenzen, dann verbindet man das mit der Angst. Weil man nicht deuten kann, was sich körperlich abspielt, kann ein Teufelskreis der Angst entstehen, der sich bis zur Panik verstärkt. Das kann traumatisierend wirken, man hat dann schon Angst vor der Angst. Aber nicht jeder muss so stark betroffen sein.

derStandard.at: Wie verbreitet ist denn die Flugangst in der Bevölkerung?

Nigitz-Arch: Die Flugangst ist sehr verbreitet, sie betrifft etwa 60 Prozent der Bevölkerung. Symptome von Panikattacken hat natürlich ein geringerer Prozentsatz davon.

derStandard.at: Mit welchen Schritten geht man bei einem Flugangst-Seminar vor?

Nigitz-Arch: Das Seminar geht über zwei Tage: das eine ist der psychologische, psychotherapeutische Teil, das andere der technisch-informative. Am dritten Tag hat man die Möglichkeit zu fliegen. Zunächst ist es einmal wichtig zu wissen, warum ich Angst habe, was in meinem Körper vor sich geht. Warum zittere und schwitze ich, warum klopft mein Herz so schnell, warum kriege ich kaum Luft? Auch das Wissen über den Aufbau eines Flugzeugs ist wichtig - es gibt auch eine Flughafen- und Towerführung.

Wichtig ist auch die Erfahrung in der Gruppe. Zu sehen, dass ich mit dem Problem nicht alleine bin, wirkt schon einmal entlastend. Das motiviert auch mitzumachen. Man ist während des Seminars am Flughafen - Menschen mit Flugangst machen einen Bogen um diese Orte um nicht mit der Angst konfrontiert zu werden. Wenn die Menschen dann merken, dass sie sich am Flughafen sogar wohl fühlen, ist das schon ein Fortschritt. Auch das geht in der Gruppe leichter.

derStandard.at: Wie kann man sich den psychotherapeutischen Teil vorstellen?

Nigitz-Arch: Zunächst ist wichtig zu erwähnen, dass der psychotherapeutische Teil eine Therapie nicht ersetzen kann. Wenn mehr hinter der Angst steckt, wie ein Missbrauch oder ein Trauma, kann es auch sein, dass ich die Empfehlung ausspreche, eine Therapie zu machen.

Ich arbeite unter anderem mit der klinischen Hypnose, die die Vorstellungskraft eines Menschen nutzt, um ruhiger zu werden. Dabei stellt man sich individuell besonders angenehme Situationen vor, zum Beispiel Musik. Wichtig ist die Kultivierung dieser Trancefähigkeit, die fokussierte Aufmerksamkeit nach innen. Das hat mit Showhypnose nichts zu tun. Angst ist ja ein Schutzmechanismus - die Form der Hypnose dient dazu herauszufinden, was hinter der Angst steckt. In der Gruppe wird eine Tranceinduktion gegeben, innere Bilder werden genutzt.

Kombiniert wird die Methode mit anderen: zum Beispiel mit Jacobsons Muskelentspannungsverfahren, das zur Verhaltenstherapie zählt. Das ist ein Klassiker bei Flugangst. Bei allen Flugangstseminaren ist etwas dabei, wo die Betroffenen selbst etwas tun können, zum Beispiel neue Techniken wie EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) oder EFT (Emotional Freedom Technique), wo Akupunkturpunkte beklopft werden. Die Menschen sollen merken, dass sie selbst etwas tun können, das hilft.

derStandard.at: Kann man durch ein Flugangstseminar langfristig helfen?

Nigitz-Arch: Laut einer Studie an der Universität Tübingen werden bei Verhaltenstherapie in Kombination mit Hypnose gute Ergebnisse erzielt. Die Betroffenen haben ja selbst erlebt, dass es ihnen besser geht. Man darf sich aber nicht wundern, dass die Angst wiederkommt wenn man lange nicht übt. Eine hundertprozentige Garantie gibt es nie, aber es wird den Teilnehmern auch mitgeteilt, dass sie üben sollen.

derStandard.at: Wie stehen Sie zur Therapie mit Medikamenten?

Nigitz-Arch: Die Therapie in Kombination mit Medikamenten ist ein Problem, da die Betroffenen das Gefühl haben, sich nicht durch eigene Kraft geholfen zu haben, sondern durch das Medikament. Es wird in vielen Studien belegt, dass die Kombination von Psychotherapie mit Medikamenten eine schlechtere Wirkung hat als reine Psychotherapie. Es gibt aber schon lebensgefährliche Extremfälle, wo man angstreduzierende Medikamente braucht, um aus einem Loch herauszukommen. Gerade bei der Angsttherapie ist es aber schwierig die Medikamente wieder wegzukriegen, auch wenn es ein Mittel ist, das gar nicht wirkt. (Das Interview führte Marietta Türk)