Markus Reiter, Geschäftsführer des neunerHAUSES zum bevorstehenden Besuch von Sozialminister Erwin Buchinger: "Werden unsere Vorstellung von Armutspolitik vorbringen".

foto: derStandard.at/mhe

Bewohnerin Lea lebt gemeinsam mit Katze Gipsy im neunerHAUS im dritten Bezirk. Sie kocht nach dem hauseigenen Rezeptbuch "Haubenküche zum Beisl-Preis", in welchem Österreichs Koch-Elite Rezepte liefert, deren Zutaten für zwei Personen nicht mehr als fünf Euro kosten. (Buch bestellen >>>)

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Wohngemeinschaft neunerHAUS: Hier darf leben, wer "anderswo" nicht reinpasst.

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Umstellen für den Minister.

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Hausmeister Erich bereitet Sozialminister Buchinger eine Bühne.

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Fast schaffen sie es nicht um die Kurve. Auf den Millimeter genau passt die Bank durch den Türstock, per Augenmaß. Und das war noch nicht die letzte Hürde. Bis zur endgültigen Destination muss die Bank noch durch etliche Türstöcke. Und zwei Stockwerke durchs zugige Stiegenhaus. Die Fenster schließen nicht richtig.

Die BewohnerInnen des Obdachlosenhauses neunerHAUS bauen derzeit um. Für den hohen Besuch, der am Donnerstag kommt und der im noch voll gestellten Aufenthaltsraum Haare lassen soll. Ein Sozialminister, der seine Haarpracht verliert, den hat man nicht alle Tage bei sich. Ohnedies sehen die BewohnerInnen des Hauses in der Hagenmüllergasse 34 nicht oft jemanden, der "was zu sagen" hat. Ihre Biografien ähneln sich meist, sind eine Mischung aus schlechter Startposition, Schulden, Alkohol, Pannen und Pech im Leben - "Spirale nach unten", so der Jargon.

Einige Wahrheiten

Für die BewohnerInnen eine Gelegenheit, den Sozialminister mit der Realität eines Lebens in Armut zu konfrontieren und mit ihm ein offenes Gespräch über Armutsbekämpfung zu führen. Auch Markus Reiter, Geschäftsführer des neunerHAUSES, Verein zur Errichtung und Führung von Wohnhäusern für obdach- und wohnungslose Menschen, möchte die Möglichkeit nutzen, um den Neominister Buchinger mit einigen Wahrheiten zu konfrontieren: "Er bekommt von uns Feedback zum Thema Grundsicherung und auch unsere Vorstellung von Armutspolitik werden wir vorbringen."

Natürlich freue man sich darüber, so Reiter, dass der Sozialminister sich das neunerHAUS für seine karitative Aktion ausgesucht hat. Gegen Spenden von mittlerweile über 10.000 Euro trennt sich Buchinger wie im derStandard.at-Chat versprochen von seiner Haarpracht. "Das Geld können wir gut brauchen". Ein Ärztezimmer soll damit gebaut werden, im Rahmen des neuen Gesundheitsprojektes. "Für Sozialhilfeempfänger gibt es keine E-Cards," ärgert sich Markus Reiter über Lücken im Gesundheitssystem, die die sozialen Randschichten treffen. Trotz bestehendem Versicherungsanspruch werden Obdachlose immer wieder abgewiesen.

Das "andere" Wohnhaus

Der Verein besteht seit 1999 und das Wohnhaus Hagenmüllergasse gibt es seit 2001. Im neunerHAUS waren auch jene willkommen, die für "andere Wohnmöglichkeiten nicht geeignet" waren. Paare, zum Beispiel oder Obdachlose, die sich nicht von ihren Tieren trennen wollten. Das neunerHAUS war von Anfang an "anders" und wurde zu Beginn von Experten als "nicht überlebensfähig" abgetan. Kein halbes Jahr würde man durchhalten, wenn man den BewohnerInnen Alkohol erlauben würde oder ihnen das meiste an Alltagsorganisation selbst überlässt. 2007 besteht der Verein noch immer, 60 Plätze stehen in der Hagenmüllergasse, 35 in der Billrothgasse zur Verfügung. Etwa 60 Personen stehen auf der Warteliste für einen Platz.

Faschingsausgabe

Seit September 2003 lebt die 55-jährige Lea mit ihrer Katze Gipsy in einer kleinen Einzimmerwohnung in der Hagenmüllerstraße. Nach einer Delogierung vor 16 Jahren schaffte sie den Sprung zurück ins Erwerbsleben nicht mehr. Nach Jahren in Heimen der Stadt Wien übersiedelte sie ins neunerHAUS und war "überglücklich", wieder in "eigenen" vier Wänden zu leben. Jetzt sucht sie sich im Haus zu beschäftigen, nimmt an EDV-Kursen teil und hämmert auf ihrem alten Computer Artikel für die hauseigene neunerHAUSZeitung. Die Faschingsausgabe ist gerade fertig geworden. Rechtzeitig für die Faschingsparty, die als Gegenveranstaltung zum Opernball schon Tradition hat. Dass Erwin Buchinger kommt, beeindruckt Lea nicht allzu sehr, auch nicht, dass die Medien am Donnerstag das neunerHAUS bevölkern werden. "Bei der ZiB2 schlaf ich längst", Lea hält nichts von medienwirksamen Auftritten.

"Ein paar Millimeter"

Erich, der Hausmeister, eigentlich auch nicht, aber er kann sich schon aus beruflichen Gründen nicht aus der Sache heraushalten: "Ein paar Millimeter noch, dann ist die Bank durch den Türstock". Erich weiß, wie knapp Erfolg und Misserfolg beieinanderliegen. Er war einer der ersten, die damals ins neunerHaus einzogen. Im Haus hat er seine jetzige Frau Gabi kennen gelernt und lebt nun mit ihr in einer eigenen Gemeindewohnung. Dem neunerHAUS blieb der gelernte Elektriker als Hausmeister treu. Deshalb ist er auch jetzt dafür verantwortlich, dass Erwin Buchinger und sein Friseur am Donnerstag ein fertiges Podest vorfinden, auf dem der karitative Haarschnitt vollzogen werden kann. Und mit dem Geld aus der Veranstaltung, wird sich Erich dann daran machen, die Stiegenhausfenster abzudichten. (mhe/derStandard.at, 6.2.2007)