Momentaufnahme aus "Full Metal Village" von Sung-Hyung Cho: eine Musikliebhaberin beim "Wacken Open Air" in Schleswig-Holstein.

Foto: Polyfilm
...Koexistenz von Lebensweisen.


Wien - Im August 1969 stellte ein Farmer in einem 4000 Einwohner zählenden Ort im Bundesstaat New York das Gelände für eine außergewöhnliche Veranstaltung zur Verfügung. Inzwischen steht der Grund für diese Transaktion, das Woodstock Music and Art Festival, längst stellvertretend für eine wesentliche Komponente zeitgenössischer Pop- und Jugendkultur. Großveranstaltungen dieser Art finden auch fast 40 Jahre später meist in ländlicher Umgebung, auf Äckern und Wiesen statt. Aber was heißt das schon.

Auch das Dorf Wacken in Schleswig-Holstein beherbergt seit 1990 eine solche: Das Wacken Open Air zieht mittlerweile als eines der größten Heavy-Metal-Festivals alljährlich im August rund 40.000 Fans aus aller Welt an. Für ihren Dokumentarfilm Full Metal Village hat sich Sung-Hyung Cho in den 1800-Einwohner-Ort begeben. Weil es sie interessierte, "was passiert, wenn zwei Kulturen, die scheinbar so unterschiedlich sind, zusammenkommen".

Der in diesem Sinne zu erwartende Zusammenprall von Dörflern und Metallern bleibt allerdings eine Behauptung. Allenfalls sehen sich die Landwirte genötigt, die Filmemacherin, die aus Pusan in Südkorea stammt und 1990 zum Studium nach Deutschland kam, in die lokalen Finessen von Viehzucht und Ackerbau einzuweihen. Die Musikliebhaber aus aller Welt hingegen haben erst relativ spät im Film ihren Auftritt. Tatsächlich ergänzen einander die Bedürfnisse dieser Besucher und der Geschäftssinn der Anwohner aufs Trefflichste, wie man nicht nur anhand der Getränkegebinde feststellen kann, die die örtliche Supermarktfiliale plötzlich absetzt.

Bis es dazu kommt, nähern sich der mehrfach prämierte Film und Sung-Hyung Cho, die nicht nur aus dem Off als Vermittlerin und Interviewerin fungiert, dem Alltag in Wacken über die Begegnung mit einer Hand voll Protagonisten: Da ist etwa der Milchbauer Plähn, dessen kleiner Betrieb im Film wie ein Bollwerk gegen EU-Verordnungen, Rationalisierung oder auch gegen ungebührliche Eile wirkt. Oder der umtriebige Bauer Trede, der seine Einnahmen nicht nur aus dem Maisanbau bezieht oder aus der Verpachtung von Feldern ans Festival, sondern der auch rechtzeitig ins Geschäft mit Biogas eingestiegen ist und obendrein als Kleinaktionär Profite macht.

Träume, Wünsche

Da ist die 16-jährige Kathrin, die sich mit einer Freundin zum Work-out in einem Speicher trifft und von einer Modelkarriere träumt - und den befremdlichen Wunsch äußert, "einmal eine Stunde im Zweiten Weltkrieg" zu verbringen. Oder Norbert, der zu den Gründern des Festivals gehörte, dann aber ausgestiegen ist. Mitunter hat man da den Eindruck, dass die Auseinandersetzung mit dem Gegenüber gerade dann abbricht, wenn es möglicherweise kontroversiell werden könnte.

Trotzdem erfährt man einiges über das Weltbild der Porträtierten. Die Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen entspricht noch den traditionellen Vorstellungen. Die zahlenden Metal-Touristen, mögen sie noch so Furcht erregend ausschauen, sind allemal gern gesehen - während so genannte "Gastarbeiter" den Autochthonen vor allem die Arbeitsplätze wegnehmen. Da ist Wacken leider erst recht kein Einzelfall. (Isabella Reicher / DER STANDARD, Printausgabe, 17.9.2007)