Zimmer mit Aussicht: Alfred Koch, seit 1995 Sendungsverantwortlicher des Ö1-Literaturfeatures "Tonspuren", am Dach des Funkhauses in der Wiener Argentinierstraße.

Foto: STANDARD/ Newald
Von seinem Arbeitszimmer im fünften Stock kann Alfred Koch über ein kleines Fenster raus aufs Dach des ORF-Funkhauses steigen. Zwischen Antennen und Satellitenschüsseln gibt die windige, mit Kieselsteinen ausgelegte Plattform den Blick über die Häuser frei, bis hin zu den Hügeln des Wienerwalds. "Ein Feature muss sich bewegen", sagt Koch. "Manchmal ist es ein einziger Ton, der den Rhythmus der Geschichte völlig verändert." Aus den Innenräumen des Geistes bewegt sich Alfred Koch, Sendungsleiter mit seinem wöchentlichen Literaturfeature "Tonspuren" hinaus ins weite Erleben journalistischer Begegnung.

Am 6. Dezember 1987 wurde das erste literarische Feature auf Ö1 ausgestrahlt. "Seele mit Regie", eine Sendung von Peter Klein über die Theaterarbeit George Taboris. Seitdem produzieren die "Tonspuren" Woche für Woche ihre Hörbilder zur Literatur, seit 1995 unter Alfred Kochs umsichtiger Führung.

Die "Tonspuren", das sind intensive Porträts aus anderer Perspektive, dargestellt mit den akustischen Mitteln, die dem Radio zu Verfügung stehen. Es sind nicht einfach nur Schriftsteller-Porträts, die "Tonspuren"-Hörer seit 20 Jahren freitags um 22.15 Uhr und in der Wiederholung sonntags um 21.15 Uhr serviert bekommen. Kafkas letzte Tage im Sanatorium, Bernhards Nachbarn in Ohlsdorf, der letzte Flug des Antoine de Saint Exupery: Fast immer zupfen sich die Gestalter einen besonderen Ausschnitt im Leben der Porträtierten heraus. Kochs Stammteam besteht aus Barbara Denscher, Eva Roither, Peter Angerer, Philipp Scheiner und Eva Schobel. Dazu kommen unzählige freie Autoren.

Ohren auf

Sie setzen seit rund 800 Sendungen Standards im Genre Feature: Davor waren Literatursendungen betulich, oberlehrerhaft. Es war Alfred Treiber, damals Feature- und heute Ö1-Chef, der die Idee hatte, "das hervorragende Radioprodukt Feature" (Koch) mit Literatur zu verbinden. Treiber beauftragte Peter Klein mit der Sendungsleitung. Schnell fand das neue Format eine treue Anhängerschaft.

"Beim Featuremachen verändern sich die Ohren", erklärt Koch. Für die Entstehung einer "Tonspuren"-Sendung bedeutet das stunden-, mitunter tagelange Gespräche mit den Schriftstellern und akribische Arbeit am Produkt. Drei Wochen fuhr Koch 2001 durch den Nordwestpazifik, um die Witwen Raymond Carvers aufzustöbern. Noch einmal drei Wochen dauerte es, das Material zu verarbeiten. "Es steckt viel Respekt, Anerkennung, Leidenschaft, Passion, Energie und Aufmerksamkeit in dieser präzisen Herangehensweise." Das Ergebnis ist im Falle Carvers preisgekrönt und war von Zagreb bis Sydney im Radio zu hören. Darauf ist er selber stolz: "Da passt einfach alles."

Lange Beiträge

1995 übernahm Koch, "Musicbox" und "Diagonal" hinter sich lassend, die "Tonspuren". Seine erste Sendung: ein Porträt vom Verleger Klaus Wagenbach. Titel: "Die dienstälteste Kafka-Witwe."

"Als ich anfing, hatten wir Interviewpassagen mit sieben Minuten", erinnert er sich. Die Bereitschaft, so lange zuzuhören, sei inzwischen verloren gegangen, stellt Koch ohne Sentimentalität fest: "Ich bin gegen Vatis Argument, früher war alles besser. Wahrnehmungsfähigkeit und perzeptive Intelligenz organisieren sich anders." Dass das Gebotene insgesamt mehr als nur Serviceleistung im Dienste der Literatur ist, versteht sich von selbst. Das glaubt auch Alfred Koch: "Die sinnliche Zugabe ist das Schöne am Feature." (Doris Priesching/DER STANDARD, Printausgabe, 30.11.2007)