Dominik Kamalzadeh

Wien – Ein Glas Tabletten und das Versprechen, sich umzubringen: Oskar Roehlers Spielfilm Die Unberührbare, eine ins Fiktive gewendete Auseinandersetzung mit seiner Mutter, der Schriftstellerin Gisela Elsner, beginnt denkbar drastisch. In expressiven, sehr konzentrierten Schwarzweißbildern entwirft der junge Regisseur das Porträt einer Frau, die auf eine letzte Reise aufbricht: nach Berlin im Freudentaumel über die Wende, die ihr widerwärtig ist.

Gisela Elsner war in den Sechzigern eine gefeierte, prononciert linke Autorin. Mit dem Fall der Mauer – im Film über TV-Ausschnitte stets gegenwärtig – zerbricht für sie eine Utopie, an der sie dogmatisch festhielt. Die hierzulande vor allem als TV-Kommissarin bekannte Schauspielerin Hannelore Elsner verleiht ihr nun im Film als nikotin- und tablettensüchtige Diva rührend sinnliche Präsenz. Sie offenbart ein tief zerrüttetes Wesen, ambivalent, verletzlich, herausfordernd: eine darstellerische Tour de force.

STANDARD: Hanna fällt ja durch ein markantes Aussehen auf: Ist das eine Maske?

Elsner: Nein. Ich fand dieses "Kostüm" auch ziemlich schön. Das ist gar nicht starr. Das ist eine ganz dünne Schminke. Solche tief schwarzen Augen sind ja viel schneller angemalt als etwas Zartes. Sie ist wie eine Kriegerin, sie will provozieren, die Feinde anziehen. Natürlich spielt sie eine Rolle, auch um die anderen besser beobachten zu können.

STANDARD: Sie sucht damit aber auch Schutz.

Elsner: Aber sie hat auch Freude daran. Sie gefällt sich so. Manche fanden sie ja hässlich. Das verstehe ich überhaupt nicht. Ich habe mir so gefallen. Ich fühlte mich auch geschützt – vor den Blicken der anderen.

STANDARD: Wie viel von ihrer Interpretation ist in der Zusammenarbeit mit Oskar Roehler entstanden?

Elsner: Zuerst einmal war das Drehbuch perfekt. Da stimmte jedes Wort. Oskar und ich sind mit der Tatsache, dass er der Sohn von Gisela Elsner ist, sehr diskret umgegangen. Wir haben das nicht zerredet. Er hat mir von ihrer Würde erzählt, gesagt, dass sie etwas Königliches hatte. Anfangs ist er manchmal richtig erschrocken, weil ich ihr so ähnlich sah.

Ich glaube, letztlich habe ich ihm zu einem anderen Blick auf seine Mutter verholfen. Ich wollte sie nicht so negativ zeigen. Mich hat ihr zartes Ich interessiert, ihre Verletztheit, ihr Trotz, ihrer Jugendlichkeit. Die hat sich doch alles getraut, sich um nichts geschert.

STANDARD: Diese empfindsame Seite ist also mehr ihre Auslegung?

Elsner: Ja, aber Oskar hat das zugelassen. Ich habe mir lange nichts von ihr angesehen. Erst ein paar Tage vor Drehbeginn hab ich ganz selektiv einige Gesten von ihr übernommen: diese Haltung, ihr merkwürdiges Rauchen, wie sie die Schultern hochzog. Am meisten hat mir ein Bild von ihr gefallen, auf dem sie noch jung war: Da ist so eine aufblühende Frau, die hätte geschützt werden müssen und nicht mit dem Erfolg ihres Buches Riesenzwerge erschlagen. Die schreibende Kleopatra, haben die Papa-Männer alle gesagt. So herablassend.

STANDARD: Mit dem Mauerfall geht ihr dann ihre Utopie abhanden?

Elsner: Das war das Gerüst, an das sie sich gehalten hat. Ihre Ideologie. Alle anderen haben sich schon abgewendet. Da war sie ganz stur, kindlich, trotzig. Das war auch ihre Heimat. Sie wollte das nicht wahrhaben. Sie ist erstarrt in ihrem Hass auf die Bourgeoisie, auf das Monströse des Alltags. Da braucht man eine unglaubliche Lebenskraft, um diese Negativität zu überleben. Das hat auch etwas von Jelinek oder Bernhard. Nur hat ihr deren Humor gefehlt.

STANDARD: Wie stellt man diese Verzweiflung dar: Haben Sie da eine Technik?

Elsner: Technik ist das keine. Die muss man bei Drehbeginn schnell vergessen. Es geht darum, dass das, was ich denke, sichtbar wird. Ich habe mir das meiste einfach vorgestellt: zum Beispiel dieser Blick, den Hanna im Café hat, kurz bevor sie zusammenbricht. Da dachte ich beim Zusehen, das gibt’s ja nicht. Ich habe mich gefragt, wo ich diesen Blick herhabe. Ich war ganz fassungslos.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7.9.2000)