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Die Aufforderung der Vertragsgegner fand in der Abstimmung am Donnerstag ihren Niederschlag.

Foto: AP /Niall Carson
Die Zeichen standen schon von Anfang an auf Sturm: Sobald die ersten irischen Wahlurnen am Freitagmorgen um neun gekippt und die Stimmzettel sortiert wurden, ergab sich in den meisten der 43 Wahlkreise eine Mehrheit für die Gegner des Lissabonner Vertrags. Das ländliche Irland – Bauern und Fischer – stimmte deutlich mit Nein, ebenso die wirtschaftlich weniger privilegierten Viertel der Städte. Dieser Vorsprung konnte nicht wettgemacht werden von der teilweise deutlichen Zustimmung durch die bürgerlichen Wahlkreise im Süden Dublins und im Pendlergürtel der Hauptstadt.

Ja der Wohlhabenden

Die Spannweite offenbarte sich in zwei angrenzenden Dubliner Wahlkreisen: Südwest lehnte den Vertrag mit 65 Prozent ab, der wohlhabende Süden akzeptierte mit 63 Prozent. Insgesamt fand die Vorlage nach vorläufigen Ergebnissen nur in neun Wahlkreisen Billigung, insgesamt sagten 53,4 Prozent der Wähler Nein (siehe Grafik). Außenminister Michael Martin diagnostizierte in einer ersten Reaktion eine Kluft zwischen der EU und den Bürgern. Er gab zu, dass sich die Wähler bis zum Schluss nicht über den Inhalt des Vertrags im Klaren gewesen seien.

Ferner habe er ein weitverbreitetes Empfinden der Wähler gespürt, dass die EU sich allzu viele Kompetenzen anmaße. Martin empfahl fürs Erste eine Bedenkzeit, erwartete aber, dass der Ratifikationsprozess in den anderen Ländern weitergehe. Declan Ganley, einer der wichtigsten – und zweifellos der reichste – Anführer der Gegner, nannte das Ergebnis „einen guten Tag für Irland, für Europa und die Demokratie“. Er forderte einen neuen Vertrag, in dem jedes Land seinen EU-Kommissar behalten könne. Patricia McKenna, eine prominente grüne Gegnerin, nannte das Resultat „keinen Sieg sondern eine Chance“.

Gleichzeitig mit der Auszählung der Stimmen fand im Dubliner Stadtzentrum eine Art von Arbeiter-Messe statt: Beschäftigungs-Behörden aus ganz Europa waren eingeladen, in Irland Bau-Fachleute anzuwerben – zum Teil ihre eigenen Landsleute. Denn die irische Bau-Konjunktur ist eingesackt, die Arbeitslosenquote ist – wenn auch auf noch immer tiefem Niveau – hochgeschnellt, die Einzelhandelsumsätze sinken und die Preise steigen.

Angesichts dieser düsteren Meldungen mag es kein Zufall sein, dass die weniger wohlhabenden Wählerschichten den Vertrag ablehnten. Die Gegner rückten zwar während ihrer Kampagne die Konkurrenz durch osteuropäische Gastarbeiter nicht in den Vordergrund ihrer Argumentation, aber bei zufälligen Begegnungen mit tatsächlichen Wählern auf der Straße konnte diese Befürchtung als Begründung für eine Ablehnung durchaus gehört werden. Aber die jüngsten Meinungsumfragen zeigen immerhin, dass die Gegner nicht einfach danach trachteten, einer unpopulären Regierung einen Denkzettel zu verpassen: Die regierende Fianna-Fáil-Partei würde erneut siegen.

Nicht genug damit, dass die Resultate am Freitag, dem 13., ausgezählt wurden; es war auch der Namenstag des Heiligen Antonius, des Schutzpatrons verlorener Gegenstände. Die Befürworter hätten wohl bedenken müssen, dass Antonius ursprünglich ein Adliger aus Lissabon war. Die Wahlbeteiligung lag mit rund 53 Prozent unerwartet hoch. Der Vertrag von Nizza war 2001 bei nur 35 Prozent Beteiligung verworfen worden, ein Jahr später dann wurde jener bis heute gültige Vertrag mit 49 Prozent Wahlbeteiligung angenommen. Seit 1995 sind bei keinem irischen Verfassungsreferendum mehr Wählerinnen und Wähler an die Urne gegangen als dieses Mal.

Kein Zusatzprotokoll

Die Beweggründe der Gegner dieses Vertrags waren derart weit verzweigt, dass es diesmal – im Gegensatz zum Nizza-Vertrag – äußerst schwierig sein wird, ein harmloses Zusatzprotokoll für die Iren zu entwerfen, das die Substanz des Vertrages unangetastet lässt. Gleichzeitig wäre es wohl ein Irrtum, dieses Resultat als Absage Irlands an die Europäische Union zu interpretieren. Immerhin haben die Iren seit ihrem Beitritt zur Union 1973 ja massiv von Brüssel profitiert. Insgesamt flossen in dieser Zeit mehr als 60 Milliarden Euro an europäischen Finanzhilfen auf die Insel. (Martin Alioth aus Dublin/DER STANDARD, Printausgabe, 14./15.6.2008)