Essen & Trinken

Einhundert

Brauerei: Privatbrauerei Vitzthum, Uttendorf<br> Braumeister: Matthias Vitzthum<br> Typ: Pils<br> Alkohol: 5,0 % ABV

foto: Conrad Seidl
foto: Conrad Seidl
Ja, es gibt sie noch, die Biere, bei denen der Braumeister nicht am Hopfen spart. Vor etwa einem Jahr hat mich die Anfrage von der angesehenen Brauer-Fakultät der TU München Weihenstephan erreicht, welches Bier mir wohl als das Bitterste bekannt wäre. Weltweit war das damals das "120 Minute IPA" der Dogfish Head Brewery in Delaware mit satten 120 internationalen Bittereinheiten (also 120 ppm Alphasäure), Extremeres ist mir auch aus anderen US-Bundesstaaten bisher nicht untergekommen. In Europa, schrieb ich damals, gibt es nichts Vergleichbares. Jetzt doch. Ich stieß auf die Website www.einhundert.be wo ein Pils mit 100 Bittereinheiten angeboten wurde. Das ist drei bis viermal so viel Hopfenbittere wie in einem gewohnten Pils. Dabei ist die Adresse der Website ein wenig irreführend: Die Endung ".be" würde ja auf eine belgische Adresse schließen lassen. Das Bier wird aber vom Nürnberger Brauvertrieb Hertel vertrieben (Marcus Hertel war es auch, der seinerzeit nach dem bittersten mir bekannten Bier angefragt hatte). Die belgische Endung hat auch nichts mit Belgien zu tun, sondern weist auf "BE", also Bittereinheiten hin. Gebraut wird es in der kleinen, aber feinen Privatbrauerei Vitzthum im oberösterreichischen Uttendorf. Dieser Betrieb ist mir bereits in den achtziger Jahren durch sein reintönig herbes Pils aufgefallen und die Besitzer haben mich damals darauf hingewiesen, dass ihr Pils das bitterste in Österreich wäre. Mit dem Einhundert haben sie also das bitterste Pils der Welt und wahrscheinlich auch das bitterste kommerziell erhältliche Bier Europas gebraut. Es ist von kräftigem Goldgelb mit sehr festem Schaum, und feinperlendem CO2. Die Nase verrät wenig von der intensiven Hopfung, nur ein leicht heuartiger Ton ist nicht ganz zu verbergen. Er kommt von einem massiven Einsatz von Tettnanger, Hersbrucker und Saazer Hopfen - die Hopfengabe erfolgt jedoch (anders als bei den meisten Pilsbieren) bereits zu Kochbeginn, daher geht viel vom Hopfenaroma während der Kochung verloren. Würde das Hopfenaroma vollständig erhalten bleiben, wäre in der Nase und am Gaumen ein intensiv parfümartiges Aroma zu spüren, das aufgrund der hohen Dosierung wohl als zu aufdringlich empfunden würde. Hier hat man im Gegenteil den Eindruck, dass das Aroma sehr verhalten ist - umso überraschender ist der Geschmack: mit dem leichten Prickeln vom CO2 auf der Zunge stellt sich gleich der Bittereindruck ein, und zwar keineswegs nur im hinteren Zungenbereich, wo eigentlich die Geschmacksrezeptoren für Bittere liegen. Vielmehr breitet sich der bittere Geschmack an den Zungenrändern aus, erreicht den Obergaumen, wo die Bittere dann besonders lang anhält und scheint den eigentlich für Bittere zuständigen hinteren Zungenbereich nur zu kitzeln, während sich im gesamten Mundraum der intensive Hopfengeschmack breitmacht: Entschlossen herb, an Wermut und Walnüsse erinnernd, insgesamt extrem tocken - so sehr, dass man kurz nach dem Hinunterschlucken schon den nächsten Schluck herbeisehnt. Sicher kein Bier für Schwächlinge - und auch bei längerem Nachdenken fällt mir keine Speise ein, die dazu passen möchte (am ehesten noch Ingwer-Schokolade, aber die hatte ich bei der Verkostung nicht zur Hand). Wahrscheinlich wird man diesem Bier (und dem eigenen Gaumen) aber ohnehin nur dann gerecht, wenn man es so genießt, wie es ist. Es mag der erste Schluck schwer fallen, der letzte aus der Flasche lässt einen jedenfalls hoffen, dass noch eine Flasche eingekühlt sein möge. (Conrad Seidl)