Bühne

Die Geschichte vom Bezirksvorsteher Richard Schmitz

Christoph Schlingensief im O-Ton: Warum stand sein Container neben der Oper? Ein Auszug aus dem Buch zur Aktion

Ein Vorgang, der das ganze Container-Ding immer wieder in Trab gehalten hat, war die Ungewissheit, welcher Platz kommt für den Container in Frage bzw. kriegen wir überhaupt einen Platz. Und eine Zentralfigur in der Entscheidung für den Platz vor der Staatsoper war der Vorsteher des 1. Wiener Gemeindebezirks, Herr Schmitz. Man hatte uns vonseiten der Stadt bereits Plätze angeboten, die alle nicht so berauschend waren - so Nicht-Fisch-nicht-Fleisch-Plätze. Aber dann kam mein Beitrag für das Grazer Schauspielhaus samt dem auf der Bühne gerufenen "Tötet Wolfgang Schüssel!", und das ganze Domino-Ding fing langsam an, loszurasen. Im ersten Augenblick sah es aus, als würde alles kaputt gehen.

Aber es entstand ein Ornament, und bei diesem Domino-Spiel mit dem Ornament war es so, dass jedes Steinchen nachher nicht mehr wusste, warum es sich bewegt hat. So ungefähr würde ich die Platzsuche beschreiben: Nachdem alles planiert war in den Köpfen und in den Herzen, war endlich ein Ornament zu sehen, und das war dann unser Platz an der Oper.

Luc Bondy sagte jedenfalls auch, wir brauchen einen anderen, besseren Platz für den Container, und dann wurde uns einer vorgeschlagen, der war für uns schon utopisch gut - nämlich vor dem Hotel Sacher, direkt am Anfang der Kärntnerstraße, neben der Oper. Da sind so Lüftungsschlitze im Boden, aber es wäre irgendwie genug Platz für den Container gewesen. Es sah so aus, als wäre dieser Platz wirklich denkbar.

Dafür war aber ein Treffen mit Vertretern diverser Magistratsabteilungen notwendig: Da kommt zum Beispiel die Abteilung 34 oder wie auch immer (die haben alle verschiedene Zahlen), und diese Abteilung ist nur dafür zuständig, ob der Schäferhund, den unsere Sicherheitsleute haben, auch wirklich alle sechs Stunden einen Haufen machen kann. Und dann war da ein Herr vom Gartenbauamt, der sagte: Die Blumentöpfe bei den Lüftungsschächten an dem möglichen Standplatz sind auf gar keinen Fall auch nur um einen Zentimeter zu verschieben, weil sonst die klimatischen Verhältnisse für das Parkhaus und für die Pflanzen gestört sind! Die Abluft aus dem Parkhaus werde durch die Pflanzen dermaßen zirkuliert und assimiliert, dass ein besonderes Klima entstehe. Nur ein Zentimeter reiche, um dieses Biotop am Anfang der Kärntnerstraße und neben der Oper und gegenüber vom Hotel Sacher völlig außer Rand und Band zu bringen!

Die Begrüßungszeremonie beim Treffen vor der Oper war dann völlig abstrus. Mir gab man kaum die Hand, so unter dem Motto: "Schmierfink, dir geb' ich nicht die Hand." Da waren zum Beispiel zwei Mitarbeiter vom Herrn Operndirektor Holender, und der eine sah aus wie das Hausmonster aus der Addams-Family, mit so lange herunterhängenden Haaren und eckigen Schultern, das einen völlig emotionslos anblickt. Das war der einzige, der gar niemandem die Hand gab, das war völlig abwegig für ihn. Und dann gab es noch zwei, drei Frauen, die waren eigentlich ganz nett, und eine Leiterin, deren Name weiß nicht mehr, die den ganzen Vorgang beaufsichtigen musste.

Als diese Begrüßungsarie schon einmal verkrampft abgelaufen war, stürmte dann noch Heinz Sichrovsky vom NEWS-Magazin dazu und rief immer: "Das wird nichts, ich habe telefoniert, die Genehmigung kriegen Sie nicht, was haben Sie jetzt vor, Herr Schlingensief?" Dazu kam ein Fotograf mit einem Teleobjektiv, womit er aus einer Distanz hätte mitfotografieren können, worauf dann wieder ein Magistratsamtsleiter oder irgendwie Bediensteter rief: "Was machen Sie für Fotos? Sie haben kein Recht, das zu fotografieren."

Die Situation war hochbrisant. Ein Magistratsbeamter meinte: So nicht, nicht in der Öffentlichkeit, nur in Hinterräumen. Daraufhin haben sich die Mitarbeiter der Oper bereit erklärt, das oben in irgendeinem Saal zu machen, und es folgte eine endlose Wanderung durch die Operngänge: Wir haben fast dreißig Minuten verloren. Dann: Hinsetzen. Und diese sehr, sehr gute Leiterin der Veranstaltung fing einfach knallhart an, mich abzufragen. Sie hat das in einer grandiosen Zügigkeit gemacht. Wenn diese Frau nur ein Hundertstel Lamento der Magistratsleute zugelassen hätte, wäre es zu gar nichts gekommen.

Es ging also reihum, und irgendwann kamen wir dann zum Assistenten von Herrn Bezirksvorsteher Schmitz - einem Mann mit einem Toupet auf dem Kopf, der sehr seriös aussah, und mir auf dem Platz vor der Oper die Hand auch nur sehr unwillig geben mochte, sich aber an dem Tisch in der Oper als Kooperationspartner ausgab: Er habe nämlich auch so das Gefühl, das wäre eine gute Aktion, man solle sich aber einen Platz suchen, der auch effektiv wäre, und er hätte eine Super-Alternative für uns: den Parkplatz hinter der Secession. Da würden 15.000 Autos am Tag vorbei fahren.

Ich meinte daraufhin, dass es sich hier aber um eine Kunstausstellung handelt und dass es auch in Museen eigentlich üblich wäre, dass die Betrachter aus dem Auto aussteigen, um sich auf etwas einlassen zu können, und das wäre an diesem Platz wohl nicht gegeben. Ich würde schon gerne auch mit den Autofahrern sprechen. Er darauf: Aber ich wolle doch Beachtung, die würde ich da kriegen, das würde dann auch reichen.

Jedenfalls war die Stimmung nicht besonders gut, es gab auch den Arbeiterbezirk Favoriten als Vorschlag, und zwar mit der Perspektive, dass dort die FPÖ-Wähler das Problem in einem impulsiven Gewalt-Akt beenden oder irgendwie selber in die Hand nehmen könnten, aber das war auch keine Alternative. Den Heldenplatz gab es auch noch. Und dieser Kooperationspartner, der Mitarbeiter von Herrn Schmitz, war also plötzlich auf dem besten Wege, zu sagen: Wir können da noch mal darüber reden, und die Secession, denken Sie darüber nach, nicht schlecht...

Dann sagten die Mitarbeiter von Herrn Holender in einem ganz unterkühlten, unemotionalen Tonfall: Wir lehnen das vor der Oper ab, diese Aktion belastet unseren Sängerbetrieb, die Probenräume können dann nicht mehr genutzt werden, die Sänger können nicht mehr proben, die Stimmen werden dadurch unklar, wir lehnen das ab. Darauf wieder diese Leiterin: Das ist Ihre Meinung, wir können ja eine Begehung der Probenräume anstreben. Jedenfalls war das Thema durch, wir sind dann gegangen, und Bondy war wie ein unruhiges Kind, das gerne Fußball spielen gehen würde, aber nicht darf, weil sich die Eltern noch nicht über die Waschmaschine geeinigt haben und das Trikot ist immer noch nicht gewaschen.

So ähnlich ging's mir auch, bis Bondy sagte, er müsse Schmitz treffen, das ginge gar nicht anders. Also haben wir herumtelefoniert, und wir bekamen tatsächlich einen Termin - in einem historischen Verwaltungsgebäude, extrem gut renoviert, also schon auch noch ein bisschen Gewölbe an der Decke, und dazu Linoleum- oder Steinboden, alles ein bisschen unterkühlt, und da ging es dann um die Ecke rum mit diesem Assistenten von Schmitz, der uns abgeholt hatte, in das Zimmer von Herrn Schmitz. Das war so ein bisschen ausgestattet wie von Anna Viebrock, ein bisschen historisch, heimelig, aber auch teuer, aus einer besonderen Zeit kommend.

Herr Schmitz trug ein ähnliches Toupet wie sein Assistent und ein beigefarbenes Sakko mit Krawattentüchlein. Er empfing uns, auch mich, mit Handschlag, allerdings sehr neutral. Und dann hat er sich etwas verklausuliert gleich so geäußert, dass er keine Möglichkeit sieht. Daraufhin meldete sich der Assistent, der so auf die Stuhlkante nach vorne rutschte: "Ich kann genau verstehen, Herr Schmitz, was Sie sagen, ich glaube auch, es gibt keine Möglichkeit, da sehe ich gar keine Möglichkeit, denn das hat auch das Blumenamt gesagt, wir können diese Kübel nicht verschieben und dann sehe ich auch einen großen Engpass dort in diesem Eingangsbereich, und die Oper hat auch abgelehnt, also da stimme ich Herrn Bezirksamtsleiter Herrn Schmitz absolut zu. Große Bedenken!"

Damit kam das Gespräch kurz zum Erliegen, und Bondy hat Herrn Schmitz einen Artikel aus Le Monde gezeigt und gesagt: "Ich habe ein Interview mit Le Monde gemacht, halbe Seite mit großem Foto. Und ich mache noch mehrere Artikel in Le Monde, Libération usw. Ich werde jetzt viel gefragt, von der FAZ zum Beispiel, alle sind sehr interessiert in diesem Moment, und wollen wissen, wie es läuft. Ich werde denen natürlich auch erzählen, wenn Sie kooperativ sind, aber wenn es nicht klappt, dann muss ich eben sagen: Österreich hat Angst."

Das hat den Herrn Schmitz ganz kurz zu einem Zögern gebracht, er bekam jetzt gleichsam eine staatstragende Funktion und mußte das Geschick Österreichs entscheiden. Dann hat er aber auch noch einmal seinen eigenen Standpunkt klargemacht, nämlich eine innere Verletzung, die er wohl erfahren hatte durch mich, denn er sagte plötzlich zu mir: "Sie haben auf Ihrer Internet-Seite über mich hergezogen!"

Ich habe gesagt, das habe ich nicht, und ich war mir sehr sicher. Obwohl ich das manchmal mache, habe ich das da nicht gemacht, da war ich mir sehr sicher, war aber doch irritiert, weil er noch einmal behauptete, ich hätte es wirklich gemacht. Da habe ich schon gedacht, ich hätte mich wohl abends irgendwann mit einer Flasche Rotwein im Kopf ans Internet gesetzt und hätte da dann irgendwelche Beschimpfungskanonaden auf meine Seite geschrieben...

Schmitz ging mit mir zu seinem Schreibtisch und zeigte mir einen riesigen Packen Papier -Ausdrucke meiner Internet-Seiten. Mit Fotos und Texten, es gab da einige Blätter, da waren mit gelbem Edding Textstellen markiert, und er sagte: "Da, da steht's, da haben Sie über mich hergezogen." Ich kucke auf das Blatt, da steht auch wirklich "Schmitz", und in dem Moment wird mir heiß und kalt, sehe aber plötzlich, dass das aus meinem Pressespiegel war: eine Seite aus der Kronenzeitung, die über Herrn Schmitz als Entscheidungsträger für diesen Platz unter dem Motto "Hoffentlich entscheidet sich Herr Schmitz gegen das Projekt" ein bisschen gedroht hatte, ihn gleichzeitig aber auch als zu weich in seiner Entscheidung darstellte.

Ich sagte also: "Herr Schmitz, das ist wirklich nicht von mir." Da ist er kurz erstarrt, hat sich das angekuckt, merkte, dass das wirklich so ist, hat mich wieder angekuckt, und hat dann so sechs Mal, sieben Mal hintereinander ganz laut "Ja! Ja! Jajajaja!" gerufen. Dann war wieder Stille, und wir sind zurückgegangen zu der Sitzgruppe, wo Bondy wieder der Junge war, der aufs Fußballfeld will, und Schmitz hat sich eine Pfeife angezündet, ein langsamer Vorgang.

Er hat sich dann noch ein Lineal besorgt und hat dann auf den Plänen immer wieder abgemessen, mit Bleistift was markiert, erst nach links, dann nach rechts, immer hin und her, und irgendwann kam er zu dem Entschluss, dass dieser Platz gegenüber dem Hotel Sacher nicht funktioniert - aber vorne, ganz weit vorne am Ring, direkt neben dem Haupteingang der Oper, da könnte er es sich vorstellen.

Bondy und ich - wir hatten ganz kurzen Blickkontakt gehabt - sind innerlich zusammengezuckt, weil wir dachten: Das kann ja nicht sein. Wie kann das sein, dass der Mann diesen Platz angibt, und der ist noch viel besser! Und in dem Moment rückte der Assistent von Herrn Schmitz plötzlich wieder auf die Stuhlkante vorne: "Ja", sagte er, "da muss ich Bezirksvorsteher Schmitz wirklich Recht geben, das ist eine Möglichkeit, die wirklich auch in Betracht zu ziehen ist, a) weil es dort keine Blumenkübel gibt, b) weil es auch optimal ist vom Platz her. Ich kann nur sagen, Herr Schmitz, das kann ich verstehen, diesen Platz kann ich mir auch vorstellen." Dann also allgemeines, ungläubiges Aufatmen, wir haben uns mit Handschlag verabschiedet. Herr Schmitz war in dem Moment sehr sehr freundlich, ein ganz anderer Mensch.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, ALBUM 28./29. 10. 2000)