Wirtschaft

Diversion für Glatz-Kremsner, Prozess gegen Kurz geht weiter

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Der erste Tag im Prozess gegen Kurz, Bonelli und Glatz-Kremsner hat begonnen - für Glatz-Kremsner war es auch der letzte, wenn sie 104.000 Euro zahlt


Der Medienandrang war erwartungsgemäß enorm: Dutzende Kameras richteten sich am Mittwoch auf Ex-Kanzler Sebastian Kurz, als der Richtung Großer Schwurgerichtssaal unterwegs war. Zeit für ein kurzes Statement hatte der frühere ÖVP-Chef: Er sieht ein "Zusammenspiel zwischen WKStA und Politik" und hoffe auf ein faires Verfahren, sagte Kurz, bevor er auf der Anklagebank Platz nahm – und sein Anwalt Otto Dietrich flugs die Zuteilung eines anderen Richters beantragte. Der, Michael Radasztics, sei befangen, weil einst gegen ihn ermittelt worden sei. Da war Radasztics, damals Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Wien, vorgeworfen worden, dem damaligen Abgeordneten Peter Pilz ein Amtsgeheimnis verraten zu haben. Das Verfahren wurde eingestellt, 2023 wechselte Radasztics dann ans Straflandesgericht Wien, wo er innerhalb der zuständigen Geschäftsgruppe als Richter für den Kurz-Prozess ausgewählt worden war.

Auch Kurz' ehemaliger Kabinettschef Bernhard Bonelli beantragte einen anderen Richter; Radasztics lehnte das ab: Befangenheit ergebe sich bei Beziehungen zu einzelnen Prozessbeteiligten, aber nicht anhand von Bekanntschaften.

Die Wahrheitspflicht als "zentrale Pflicht"

Daraufhin begann das Eröffnungsplädoyer der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), vorgetragen von den Staatsanwälten Gregor Adamovic und Roland Koch. Die drei Angeklagten hätten die Allgemeinheit angelogen, also "Sie alle", sagte Adamovic sinngemäß. Eine Aussage im U-Ausschuss habe Konsequenzen, die Wahrheitspflicht sei zentral. Chats zeigten, dass die Angeklagten falsch ausgesagt hätten. Da gehe es nicht um einzelne Wörter, sondern um die Essenz, so Koch sinngemäß. So habe Glatz-Kremsner gegenüber Ermittlern gesagt, keine Wahrnehmung zur FPÖ-Unterstützung für Peter Sidlo als Casag-Finanzvorstand zu haben, Strache aber Gegenteiliges geschrieben.

Bonelli und Kurz hätten die Abgeordneten falsch darüber informiert, dass sie einen Vertrauten – nämlich Thomas Schmid – zum Alleinvorstand der Staatsholding Öbag machen wollten. Das Parlament habe nicht wissen wollen, wie der Öbag-Vorstand laut Gesetz bestellt werde, sondern wer im Hintergrund die Fäden gezogen habe. Bonelli habe ja sogar den späteren Aufsichtsratsvorsitzenden der Öbag, Helmut Kern, dem Finanzminister vorgeschlagen. Bonelli habe gewusst, dass sich Kurz das alleinige Nominierungsrecht für die Öbag-Aufsichtsräte vorbehalten und dass er sich aktiv eingebracht habe, so der WKStA-Staatsanwalt.

Kurz habe gelogen, weil er einen Reputationsschaden befürchtet habe, hätte er Postenschacher zugegeben – trat die "neue ÖVP" doch als modern und korruptionsfrei auf. Die WKStA habe einen "Beweisring" – mehrere Beweise, die einander bestätigten. Einen Aussagenotstand sieht die WKStA nicht, denn Kurz habe keine strafrechtliche Verfolgung gedroht. Kurz probiere sinngemäß einen "Argumentationsspagat", da er einerseits behaupte, wahrheitsgemäß ausgesagt zu haben, andererseits auf einen Aussagenotstand verweise.

Glatz-Kremsner wird "ihre Frau stehen"

Ab 12 Uhr wurde pausiert, um kurz vor 13 Uhr ging es mit dem Verteidigungsplädoyer von Lukas Kollmann, dem Anwalt von Glatz-Kremsner, weiter. Seine Mandantin habe sich "kleiner machen" wollen, sie habe damals – rund um die Vernehmungen und den U-Ausschuss – Ruhe in die Casinos Austria AG (Casag) bringen wollen, wo sie ja 2019 Vorstandsvorsitzende geworden war. Sie sei "sehr betroffen" von dem Verfahren und hätte den Vernehmungen mehr Aufmerksamkeit schenken sollen. Das werde sie darlegen, sich nicht schuldig bekennen, aber auch "ihre Frau stehen". Später sagte Glatz-Kremnser selbst aus: Sie habe Dinge nicht gesagt, die sie hätte sagen sollen, und Dinge kleingeredet. Die achtstündige Befragung bei der WKStA habe sie "unterschätzt", sie habe das Unternehmen "wieder in ruhige Gewässer" führen wollen. Fragen der WKStA wollte Glatz-Kremsner nicht beantworten.

Bei Kurz-Verteidiger Otto Dietrich klang das anders: Der Ex-Kanzler habe richtig ausgesagt, die WKStA habe seine Aussagen mit einem Bedeutungsgehalt versehen, der nicht stimme. Es werde sich zeigen, dass Kurz richtig geantwortet habe.

ÖVP-Anwalt: "Falschantrag" der WKStA

Noch schärfer gegen die WKStA ging es beim Plädoyer von ÖVP-Anwalt Suppan, der Bonelli vertritt. Die WKStA habe einen "Falschantrag" eingebracht, sie habe im Strafantrag Aussagen der Ex-Finanzminister Gernot Blümel und Hartwig Löger (beide ÖVP) als ident bezeichnet – doch Löger habe das so nie gesagt. "Hat die Leiterin der WKStA das nicht durchgelesen?", fragte Suppan. Die WKStA räumte daraufhin einen "Screenshot-Fehler" ein.

An den ersten Prozesstagen am Mittwoch, Freitag und nächsten Montag sind neben Richter Radasztics nur die Staatsanwälte, Verteidiger und Angeklagten am Wort. Wann genau das Beweisverfahren beginnt, wird der Richter erst bekanntgeben. Der Große Schwurgerichtssaal im Straflandesgericht Wien ist jedenfalls ausgebucht; allein rund 80 Medienvertreter haben sich angemeldet. Am Ende der Verhandlung gab es noch eine Überraschung: Richter Radasztics kündigte an, über eine Diversion von Glatz-Kremsner verhandeln zu wollen. Kurz und Bonelli könnten gehen, während die Hauptangeklagte sich mit einer Geldbuße einverstanden zeigte. Deren Höhe setzt der Richter mit 104.060 Euro an. Wenn Glatz-Kremsner diesen Betrag binnen 14 Tagen bezahlt, muss sie nicht beim Prozess erscheinen und bleibt unbescholten. Für Kurz und Bonelli geht es am Freitag weiter. (Renate Graber, Fabian Schmid, 18.10.2023)

Zum Weiterlesen: Anklagebank statt Kanzlersessel: Die wichtigsten Infos zum Kurz-Prozess