Panorama
Schweizer Fluglotse war völlig überlastet
Lotse hatte neben den beiden Unglücksmaschinen drei weitere Maschinen zu betreuen - Maschinen gingen gleichzeitig in den Sinkflug
Braunschweig - Nach ersten Erkenntnissen der
deutschen Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) zur
Flugzeugkatastrophe am Bodensee haben die russischen Piloten die
Züricher Lotsen nicht vor dem drohenden Zusammenstoß gewarnt. Anders
lautende Medienberichte könne er nicht bestätigen, sagte BFU-Direktor
Peter Schlegel am Donnerstag in Braunschweig.44 Sekunden vor dem Zusammenstoß: Lotse fordert die Tupolew zum Sinkflug auf
Um 23.34 Uhr und 49 Sekunden - 44 Sekunden vor dem Zusammenstoß -
habe der Lotse die Tupolew zum Sinkflug aufgefordert. Da die
Besatzung nicht reagierte, sei der Spruch 14 Sekunden später
wiederholt worden. Die Crew bestätigte und leitete den Sinkflug ein.
Das habe das Abhören der Bänder aus Zürich ergeben. Fünf Minuten vor
dem Unglück habe es lediglich den normalen Anmeldekontakt gegeben,
als die Tupolew in die Zuständigkeit der Schweiz einflog.
Tupolew-Crew hätte bereits 90 Sekunden zuvor den Lotsen informiert
Die russische Nachrichtenagentur RIA-Nowosti hatte unter Berufung
auf einen nicht näher bezeichneten russischen Experten der
gemeinsamen Untersuchungskommission berichtet, dass die Tupolew-Crew
bereits 90 Sekunden vor dem Zusammenstoß den zuständigen Lotsen
informiert habe. Die betroffene Schweizer Flugsicherung skyguide
wollte dazu keine Stellung nehmen.
Maschinen gingen gleichzeitig in den Sinkflug
Die letztlich verbliebenen 30 Sekunden hätten laut Schlegel dem
russischen Piloten noch gereicht, um einen Zusammenstoß zu
verhindern. Gleichzeitig habe jedoch auch die entgegenrasende Boeing
einen Sinkflug begonnen. Zur selben Zeit habe Zürich einen Funkspruch
empfangen, dass eines der bordeigenen TCAS-Warnsysteme einen Sinkflug
eingeleitet hat. Mit großer Wahrscheinlichkeit sei dieser Spruch von
der Boeing gekommen. Beide Maschinen haben nach den Unterlagen die
modernsten Warnsysteme an Bord gehabt. Warum die Kommunikation
zwischen den Geräten nicht funktionierte, ist unklar.
Lotse hätte einer Maschine wie Tupolew 90 Minuten Reaktionszeit geben müssen
Der Lotse soll gegen bestehende Vorschriften verstoßen. Nach den
ersten Ermittlungsergebnissen der Braunschweiger Bundesstelle für
Flugunfalluntersuchungen forderte er den Piloten der Tupolew erst 44
Sekunden vor dem Kreuzungspunkt mit der Frachtmaschine vom Typ Boing
757 zum Sinken auf. Tatsächlich hätte nach den Vorschriften
spätestens eineinhalb Minuten vor Erreichen des Kreuzungspunkts zum
Sinkflug aufgefordert werden müssen, sagte Schlegel. Der Pilot habe
14 Sekunden nach der Aufforderung reagiert und zum Sinkflug
angesetzt.
Fluglotse hatte fünf Maschinen gleuichzeitig zu betreuen
Allerdings wäre es auch nicht zu einem Unfall gekommen, wenn die
beiden Maschinen nur in einem Abstand von 20 oder 30 Metern
aneinander vorbeigeflogen wären, sagte Schlegel. Die späte Warnung
reiche als alleinige Unfallursache also nicht aus. Der Lotse hatte
laut Schlegel zum Zeitpunkt des Unglücks fünf Maschinen zu betreuen,
eine davon sei auf den Landeanflug auf Friedrichshafen gewesen. Nach
Angaben eines BFU-Mitarbeiters ist dies keine außerordentliche
Belastung.
Stimmrekorder ist stark beschädigt
In Braunschweig wurden unterdessen die ersten Magnetbänder der
Stimmrekorder aus den Maschinen untersucht. Die Bänder seien stark
beschädigt, hieß es. "Die Bänder sind in einem schlimmen Zustand, sie
sind zum Teil zerrissen, angerissen und mechanisch beschädigt. Bevor
wir reinhören können, müssen wir sie restaurieren", sagte Axel Thiel,
Leiter des Auswertungslabors der BFU.
Laut Thiel hatte sich am Donnerstag anhand der Seriennummer
herausgestellt, dass einer der vier am Vortag in Braunschweig
angelieferten Flugdatenschreiber nur ein Ersatzgerät in der Tupolew
war. Mittlerweile sei jedoch auch der richtige Datenschreiber am
Unfallort gefunden und auf dem Weg nach Braunschweig. (APA/dpa/AP)