Bundespräsident Thomas Klestil ist seit dem 4. Februar 2000 bei den Regierungsparteien schlecht angeschrieben. Weder ÖVP noch FPÖ wollen ihm seine steinerne Miene verzeihen, die er bei der Angelobung der schwarz-blauen Regierung gemacht hat. Diese war dem Staatsoberhaupt nicht zu verdenken, wurde er doch in jenen Tagen von konservativer Seite mit dem kroatischen Kriegspräsidenten Franjo Tudjman verglichen, der die demokratischen Rechte in seinem Land außer Kraft gesetzt, die Freiheit der Medien weitgehend abgeschafft und die Arbeit der Opposition systematisch behindert hat. Von Klestil zu verlangen, dass er angesichts solcher Vergleiche auch freundliche Miene zum bösen Spiel machen sollte, ist eine Unverschämtheit und hat nichts damit zu tun, dass er so wie viele Handelnde in der Politik nicht gänzlich frei von menschlichen Schwächen ist. Wie viele andere Personen des öffentlichen Lebens steht er gern im Rampenlicht und nützt jede Gelegenheit zum internationalen Auftritt. So auch diese Woche in Brüssel, wo er versuchte, Licht ins Dunkel der österreichischen Position im Zusammenhang mit der Erweiterung der Union zu bringen. Klestil hat sich nicht aufgedrängt, sondern wurde offenkundig von Brüssel um Klärung ersucht. Zu unterschiedlich sind die Signale, die man in der EU-Hauptstadt derzeit von der Wiener Regierung zum größten Vorhaben seit ihrer Gründung vernimmt. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, den der Bundespräsident im Übrigen vor seiner Reise genau informiert hat, genießt offenkundig noch immer nicht jenes Maß an Glaubwürdigkeit, das nötig ist, um im Zweifel zu überzeugen. Mag sein, dass das auf sein Verhalten im Zuge der Regierungsbildung zurückzuführen ist. Das Gedächtnis der Institutionen reicht weit zurück. Insofern ist es gut, dass wenigstens das Staatsoberhaupt als glaubwürdiger Makler in Brüssel auftreten kann. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 5.7.2002)