Die Versorgung Europas mit Erdgas könnte schwieriger werden, sollten die bisher üblichen Langfristverträge zwischen den Gasabnehmern im Westen und den Gasproduzenten im Osten von der EU-Kommission gekippt werden. Darauf haben Vertreter des weltgrößten Erdgasunternehmens, der russischen Gasprom, hingewiesen.

"Langfristverträge sind das Fundament des internationalen Gashandels. Ohne sie sind neue Förder- und Pipelineprojekte kaum denkbar", sagte Vladimir Merkulov, bei der Gasprom-Tochter Gasexport für die Preisbildung zuständig. "Banken verlangen für Kredite Sicherheiten, und langfristige Lieferverträge sind solche Sicherheiten."

Wettbewerb erzwingen

Sollte die EU-Kommission die so genannten Take-or-Pay-Verträge untersagen, schließt Merkulov "aus wirtschaftlichen Überlegungen" eine stärkere Ausrichtung des Unternehmens auf Asien, speziell auf China, nicht aus.

Die EU-Kommission will mit der bis 2004 geplanten vollständigen Öffnung des europäischen Gasmarktes einen schärferen Wettbewerb erzwingen. Mehr Konkurrenz soll wie bei Telekommunikation oder Strom auch bei Gas zu einem Preisrutsch führen.

In Österreich, wo der Gasmarkt mit 1. Oktober dieses Jahres vollständig liberalisiert wird, rechnet Wirtschaftsminister Martin Bartenstein mit einer Ersparnis je Haushalt und Jahr von rund 100 Euro. Vertreter der heimischen Gaswirtschaft dämpfen diese Hoffnungen. "Die Rechnung ist für uns nicht nachvollziehbar, sagte der Vorstandssprecher der OÖ Ferngas AG, Friedrich Gerstl, bei einem Besuch der Gasprom in Moskau. In dieselbe Kerbe schlug der Geschäftsführer der OMV Erdgas GmbH, Werner Auli. Die Gasmarktliberalisierung bringe mehr Komplexität, die Kosten würden eher steigen, sagte der OMV-Manager.

Haftungen durch Europäische Investitionsbank

Österreich hat 1968 als erstes westeuropäisches Land einen langfristigen Gasliefervertrag mit der damaligen Sowjetunion abgeschlossen; bisher sind insgesamt rund 122 Mrd. Kubikmeter Erdgas aus sibirischen Lagerstätten nach Österreich gelangt. Mehr als 80 Prozent des in Österreich verbrauchten Erdgases stammt aus Russland. Die Abhängigkeit der EU-Staaten vom "Russengas" liegt bei derzeit 39 Prozent und dürfte bis 2010 auf 52 Prozent steigen.

Als Alternative zu den Langfristverträgen kann man sich bei Gasprom Haftungen durch die Europäische Investitionsbank vorstellen, kombiniert mit einem aus Energieabgaben gespeisten Investitionsfonds. Merkulov: "Wir warten auf eine Antwort aus Brüssel." (Günther Strobl aus Moskau/DER STANDARD, Printausgabe, 6.6.2002)