Brasilia/Montevideo - Ein wenig wie Don Quichote muss sich der brasilianische Präsidentschaftskandidat Luiz Inácio "Lula" da Silva vorkommen. Alles hat der Exgewerkschaftsführer und Politiker der linken Arbeiterpartei versucht, um sein Image in der Geschäftswelt aufzupolieren: Der 56-Jährige trägt elegante Anzüge, der Bart ist adrett gestutzt, die klassenkämpferischen Parolen und die verschwitzten Hemden sind abgelegt. Gegen erheblichen Widerstand in der eigenen Partei wurde eine Allianz mit der rechten Liberalen Partei (PL) geschmiedet und ein steinreicher Unternehmer zum Vizepräsidenten erkoren. Es ist "Lulas" vierter Anlauf und bis vor kurzem sah es noch so aus, als könne er es im Oktober schaffen. "Lula" führte mit großem Abstand (36 Prozent) in den Umfragen vor dem Regierungskandidaten José Serra (20 Prozent). Dazu trugen neben dem aufpolierten Image auch die Erfolge der PT auf regionaler Ebene bei. Und die Zersplitterung des Regierungslagers, dessen Kandidat zudem farblos ist. Die Märkte aber mögen auch "Lula light" nicht, weshalb Brasilien dieser Tage in wirtschaftliche Turbulenzen geriet. Die Währung Real verlor im Juni zehn Prozent an Wert, mehr als eine Milliarde Reais wurden von der Börse in Sao Paulo abgezogen - mehr als im ganzen Jahr dort investiert wurden. Die Ratingagenturen stuften ihre Bewertung brasilianischer Schuldverschreibungen zurück, womit ein heftiger Zinsaufschlag auf staatliche Schuldscheine fällig wird. Was Zentralbankmitglied Luiz Fernando Figuereido die "übertriebene Ängstlichkeit" der Märkte nannte, heißt in den rechten Medien nur das "Lula-Risiko". Investoren befürchten, dass "Lula" die Austeritätspolitik der jetzigen Regierung nicht fortsetzen und die mit 274 Milliarden Dollar (58 Prozent des Bruttoinlandsproduktes) recht hohe Auslandsschuld nicht weiter abzahlen werde. IWF-Direktor Horst Köhler spricht von einer Vertrauenskrise politischen Ursprungs. Spätestens nach den Wahlen im Oktober lege sich diese "Hysterie" wieder. Die "spekulative Attacke", von der die Regierung redet, hat aber auch konkrete Gründe. Weder die Schulden noch die schleppende Konjunktur können "Lula" angelastet werden. Dennoch ist er nicht ganz unschuldig an der Unruhe. Einerseits beteuert er, Haushalts- und Inflationsziele nicht zu ändern und die Schulden weiter zu bedienen, andererseits verspricht er, mit dem "Wucher der internationalen Banken" Schluss zu machen und lässt seine Partei den Bruch mit dem neoliberalen Modell ankündigen. (Sandra Weiss/DER STANDARD Print-Ausgabe, 6.7.2002)