Die Fernsehgruppe ProSiebenSat.1 hat nicht nur mit einem weiter schrumpfenden Werbemarkt zu kämpfen - auch die Zuschauerzahlen sind gesunken. Vorstandschef Urs Rohner sagte am Dienstag auf der Hauptversammlung in München ein äußerst schwieriges Jahr voraus. "Spielball" Kleinaktionäre kritisierten die anhaltende Vorherrschaft des insolventen Mehrheitsaktionärs KirchMedia. Daniela Bergdolt von der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz sagte, ProSieben "wird zum Spielball der Kirch-Gläubiger". Wende frühestens im vierten Quartal Der Umsatz der Gruppe sank im ersten Halbjahr erneut um vier Prozent. ProSiebenSat.1 schreibe aber schwarze Zahlen, versicherte Rohner vor 300 anwesenden Aktionären. Die Talfahrt auf dem Werbemarkt habe sich allerdings noch verstärkt. Für das Gesamtjahr erwarte er einen Rückgang um fünf Prozent. Eine Wende sei frühestens im vierten Quartal, vielleicht sogar erst bis Sommer 2003 zu erwarten. Zuschauerschwund Zugleich macht der Senderfamilie die Abwanderung von Zuschauern zu ARD und ZDF zu schaffen. Bis Jahresende rechnet Rohner mit einem Rückgang des Marktanteils bei der wichtigsten Zielgruppe um zwei auf 28,2 Prozent. Pro Sieben: Jeder Zehnte schaltet um Besonders dramatisch sei der Zuschauerschwund bei dem bisher hoch profitablen Sender Pro Sieben: Jeder zehnte Zuschauer schalte um. Die Talkshows am Nachmittag hätten gegen die Gerichtsshows von Sat.1 nicht bestehen können, das Vorabendprogramm "Mission Germany" sei schlicht "ein Fehler" gewesen, und den Serienwiederholungen im Hauptabendprogramm seien die Zuschauer davon gelaufen. Ab Herbst werde Pro Sieben neu entwickelte Formate senden, sagte Rohner. Auch das Sat.1-Programm werde konsequent auf Gewinn ausgerichtet. Der Sender macht Verlust, soll aber nächstes Jahr wieder schwarze Zahlen schreiben. Kirch-Krise: Programm-Zulieferung gesichert Die Insolvenz von KirchMedia treffe die Senderfamilie nur indirekt, sagte Rohner. Die Programm-Zulieferung sei langfristig gesichert. Sollten neue Investoren bei KirchMedia einsteigen und damit die Kontrolle bei ProSiebenSat.1 übernehmen, bekämen die freien Aktionäre voraussichtlich ein Übernahmeangebot. Mit Entscheidungen sei frühestens Ende Juli zu rechnen. "Beschwörungsformeln" Bergdolt warf Rohner "Beschwörungsformeln" vor. KirchMedia beherrsche auch nach dem Ausscheiden von Dieter Hahn, Thomas Kirch und zweier anderer Aufsichtsräte den Aufsichtsrat. KirchMedia verhindere, dass Vorzugs- in Stammaktien umgewandelt werden und "der Streubesitz ein Wort zu sagen" bekäme. Rohner erklärte, das wäre derzeit nicht im Interesse der Banken und Investoren von KirchMedia. Bergdolt und Klaus Schneider von der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre freuten sich, dass die KirchMedia-Insolvenz die Fusion mit der ProSieben-Gruppe "gerade noch rechtzeitig" verhindert habe. Der Plan sei ein Attentat auf die freien Aktionäre gewesen und hätte nur Kirch genützt. Rohner sagte, 2002 werde der Senderfamilie "äußerste Anstrengungen und eine Reihe von schmerzhaften Entscheidungen abverlangen". Sie werde sich auf das profitable Fernsehgeschäft konzentrieren und den Rest konsequent abstoßen. Auch der Nachrichtensender N24 müsse sich am Erfolg messen lassen. Sollte die Gruppe die KirchIntermedia übernehmen, könnte das Internet-Portal Sport1 verkauft und für die Nachrichtenagentur ddp ein Partner gesucht werden. 2001 war der Umsatz der ProSiebenSat.1 Media AG auf 2,015 Mrd. Euro gesunken, der Gewinn vor Steuern halbierte sich auf 106 Mill. Euro. Van Betteray neuer Vorsitzender des Aufsichtsrats Der Geschäftsführer der insolventen KirchMedia GmbH & Co KGaA, Wolfgang van Betteray, ist zum Vorsitzenden des neu zusammengesetzten Aufsichtsrats der ProSiebenSat1 Media AG gewählt worden. Zu seinem Stellvertreter wurde das Vorstandsmitglied der Commerzbank AG, Wolfgang Hartmann, bestimmt. Neben van Betteray und Hartmann hatte die Hauptversammlung des Unternehmens auch den Prokuristen der KirchMedia Beteiligungsverwaltungs GmbH und das Geschäftsführungsmitglied von KichMedia, Fred Kogel, neu in das Kontrollgremium gewählt. Der bisherige Aufsichtsratsvorsitzende Dieter Hahn sowie Thomas Kirch, Klaus Piettes und Jan Mojto hatten wie bekannt ihre Aufsichtsrats-Mandate bei der Sender-Gruppe im Zuge der Insolvenz von Kirch-Gesellschaften niedergelegt.(APA/AP/vwd)