London/Hamburg/Wien (APA/dpa) - Das neue Flugsicherungssystem Free Flight könnte nach Expertenansicht das nach dem Unglück vom Bodensee kritisierte Lotsen-Kontrollverfahren künftig ersetzen. Das System wird vor allem von US-Piloten favorisiert und setzt darauf, jedem Flugzeug eine via Computer-Netzwerk berechnete Direktflugroute zuzuweisen und auf Luftfahrt-Korridore zu verzichten. Das berichtet das britische Wissenschaftsmagazin "New Scientist" in seiner jüngsten AusgabeKatastrophe bei Computerausfall Die deutsche Pilotenvereinigung "Cockpit" sowie die Deutsche Flugsicherung stehen dem Projekt generell positiv gegenüber, sehen die technischen Voraussetzungen dafür jedoch noch nicht gegeben. Kritiker fürchten, dass es bei einem Computerausfall zur Katastrophe kommen könnte. Bis 2015 bis 2020 Realität Bei der Austro Control in Wien ist man der Überzeugung, dass das Konzept genau so umsetzbar sei wie jedes andere, vorausgesetzt, technische und andere Voraussetzungen seien gegeben. "Es wird einmal dorthin führen", sagte Chefkontroller Walter Draxler. Er schätzt, dass das Free Flight-Konzept 2015 bis 2020 Realität sein könnte. Fluglotsen Im derzeitigen System der internationalen Luftverkehrskontrolle ATC (Air Traffic Control) fliegen die Flugzeuge in Korridoren von 300 Metern Höhe und rund acht Kilometern Breite, die durch Funkleitstrahlen vom Boden aus bestimmt werden. Kontrolliert werden sie durch lokale Fluglotsen, die die Korridore jeweils abschnittsweise auf dem Radarschirm überwachen. Für den Notfall ist ein Kollisionswarnsystem (TCAS) an Bord installiert, das bei Gefahr automatisch Ausweichmanöver vorgibt. Im jüngsten Unglücksfall befolgte der Pilot jedoch eine entgegengesetzte Lotsenanweisung. Computerübrwachung Bei Free Flight soll dagegen ein weltweit verknüpftes Computernetzwerk die ständige Überwachung übernehmen: Vor einem Flug gibt der Pilot dort den Zielort und die geschätzten Reisezeiten an, um dann die optimale, zumeist direkte Flugroute zugewiesen zu bekommen. Zeit und Kraftstoff könnten so gespart werden, sagen die Befürworter. Für Sicherheit soll ein spezielles Programm sorgen, das bei der Routenberechnung jedem Flugzeug eine 160 bis 320 Kilometer dicke "Pufferzone" vorschaltet. Bodenkontrolleure hätten via Radar dann nur noch einzuschreiten, wenn die Pufferzonen zweier Flugzeuge sich dennoch zu berühren drohten. Walter Draxler von der Austro Control betonte, dass das Free Flight-Konzept in vielen Ländern in unterschiedlichen Stufen bereits verwirklicht sei. In Österreich zum Beispiel gebe es größtenteils direkte Strecken, kleine Knicks kämen "notgedrungen" vor. Für 2004 plant die EU den "single sky", die gemeinsame Verwaltung des europäischen Luftraums ohne nationale Grenzen. Gegen das Projekt gibt es Widerstände vor allem durch Frankreich, Griechenland und Portugal, wo man Souveränitätsverluste befürchtet. Der nächste Ansatzpunkt sei die für 2007 geplante Umsetzung einer gemeinsamen Luftraumbewirtschaftung ab einer Höhe von 9.400 Metern durch Österreich, Ungarn, Tschechien, die Slowakei, Slowenien, Kroatien, Bosnien und möglicherweise auch Norditalien, sagte Draxler. Laut Prognosen wird sich der Luftverkehr bis zum Jahr 2015 verdoppeln. Ein größeres Problem als die Überwachung des Verkehrs in der Luft werde aber das Handling auf dem Boden sein, meinte der österreichische Fachmann. (APA)