Seit Jahren gilt Gustaf Gründgens als Prototyp des karrieristischen Künstlers, der die größten Erfolge seiner Annäherung an den Nationalsozialismus dankt. In den letzten Jahren beginnt sich ein differenzierteres Bild hinter der mephistophelischen Maske abzuzeichnen.Wien - Nur unwesentlich unterscheidet sich der Künstlername, auf den er selbst sich taufte, von jenem, den seine Eltern ihm zugedacht hatten. Aus Gustav machte Gründgens Gustaf. Eine minimale Veränderung - und doch ist die Geste bezeichnend für einen Menschen, der der Öffentlichkeit ausschließlich die selbst gestaltete Form seiner Person darbot.

Eine Gestaltung, in deren Wahrnehmung auf verblüffende Weise die Illusion die faktische Tatsächlichkeit überstrahlt zu haben scheint, selbst in der Ansicht des Körpers, wie Bemerkungen von Klaus Mann und Carl Zuckmayer nahe legen. "So begabt war Gustaf", schreibt Klaus Mann in seinen Erinnerungen über den jungen Gründgens, "dass er auf der Bühne gertenhaft schlank aussehen konnte, obwohl er in Wirklichkeit schon als junger Mensch eher zum schwammig-weichen Fettansatz neigte. Der geschmeidige Wuchs (...) war einfach das Produkt suggestiver Verstellungskunst, ein Triumph des Willens über die Materie."

Und Carl Zuckmayer beschreibt GG in seinem für den amerikanischen Geheimdienst angefertigten Geheimreport ähnlich widersprüchlich: "Er ist eigentlich eher ein hässlicher Mensch, mit viel zu hoher Stirn, viel zu großem Mund, besonders unschönen Händen, schlaksiger Figur, - der es versteht, fabelhaft gut auszusehen."

Der dicklich gertenschlanke, hässlich fabelhaft gut aussehende Gusta(f)v ist in der Absolutheit seiner Ober- flächengestaltung bis heute eine der ambivalentesten Künstlerpersönlichkeiten des zwanzigsten Jahrhunderts. Das tatsächliche Hintergrundwissen um sein Leben, zumal um die Beschaffenheit seiner Verstrickungen mit dem Nationalsozialismus, ist derart dürftig, dass sich die Biografen primär in Spekulationen ergehen, um zu bewundern oder zu verdammen.

Das vorgefertigte Urteil ersetzt vielfach die mühsamere Recherche. Spätestens seit Ende der Sechzigerjahre, seit dem Ende der Verdrängung der nationalsozialistischen Verbrechen während der Adenauer-Jahre, galt es als abgemacht, in Gustaf Gründgens den Prototyp des opportunistischen Künstlers zu entdecken, der sich durch die Protektion der NS-Führungsriege, insbesondere Hermann Görings, als Intendant des Preußischen Staatstheaters in Berlin zu einem der künstlerischen Repräsentanten des Regimes emporintrigiert hatte.
Vieles spricht für diese Version: Gründgens wurde tatsächlich über Vermittlung der Schauspielerin Emmy Sonnemann von deren Mann Hermann Göring protegiert und geschützt. Er leitete von 1934 bis 1945 das wichtigste Theater des Dritten Reichs, er liebte den Luxus, bezog ein arisiertes Gut in der Nähe Berlins, das er auffallend günstig erwarb, fuhr Limousinen, auf deren Türen golden sein Monogramm prangte.

Gleichzeitig aber schwebte er vor der Nase der Macht in permanenter Gefahr, was seine Bemerkung, er habe wiederholt ins Exil fliehen wollen, durchaus glaubwürdig macht: In den Zwanzigerjahren war er verheiratet gewesen mit der im Exil befindlichen Erika Mann, er hatte sich als Kommunist engagiert. Er lebte seine Homosexualität promiskuitiv und offen, was Goebbels wiederholt als hochgefährliche Waffe gegen ihn zu nutzen wusste. Er kultivierte einen kühl-intellektuellen Schauspielstil, der nichts mit volksnaher Sentimentalität gemeinsam hatte. Er beschäftigte und rettete jüdische Schauspieler, deren Zeugnisse ihn nach 1945 schnell als entnazifiziert gelten ließen.

"Selbstgefährdend"

Wie seine emotionsfreien Züge scheint auch Gründgens' Schweigen über seine Motive eine Leerstelle zu bilden, die sich als ideale Projektionsfläche für Interpretationen anbietet. Gespalten bleibt sein Bild auch in den jüngsten Publikationen: etwa in Peter Michalziks 1999 zu dessen 100. Geburtstag erschienener Biografie GG - Der Schauspieler und die Macht oder in der klugen Gründgens-Bewertung durch Carl Zuckmayer in seinem im Exil geschriebenen Geheimreport, der dieser Tage im Wallstein-Verlag erschien. Bezeichnenderweise ordnete Zuckmayer Gründgens der Gruppe 3 seiner Ausführungen bei: jener der "Sonderfälle, teils positiv, teils negativ". "Seine Beziehung zur Macht", heißt es dort, "ist durchaus zynisch und daher stets selbstgefährdend."

Letztlich war Macht für GG eine weitere Form von Kontrolle über seine Arbeit. Und Kontrolle, Klarheit, Ordnung prägten seine Selbstdarstellung wie seine künstlerische Ästhetik bis zuletzt. Weshalb auch die Rollen-Fotos, die nun in einer Ausstellung im Wiener Theatermuseum zu sehen sind, eine Übernahme der Düsseldorfer Schau, nicht ohne seine genaue Anleitung - und seine finanzielle Unterstützung - entstanden. (DER STANDARD, Printausgabe, 11.7.2002)