Wien - "Vielleicht lag uns nie mehr daran, die natürliche Schönheit der Alpenregion zu bewahren, als heute, da diese Schönheit bedroht und mancherorts zerstört ist", heißt es im Klappentext der Publikation Neues Bauen in den Alpen . Die gleichnamige Ausstellung ist ab heute im Wiener Ringturm zu sehen, und sie lädt nicht nur zum Schauen, sondern auch zum Nachdenken ein: zum Sinnieren über eine der wichtigsten Ressourcen überhaupt, die Landschaft, und zum Anschauen gelungener und ausgezeichneter Architekturleistungen mittendrin.

In diesem Fall wird unter die Lupe genommen, wie der Mensch und seine Baumaschinen mit den Alpen, also den Bergen zwischen Nizza und Wien, Umgang pflegen, wie Traditionen aufgenommen und modifiziert werden, wie Planer sich vor schroffen Naturlandschaften verbeugen, den Gebirgen Respekt zollen, ihre neuen Häuser mit Selbstbewusstsein und dennoch mit entsprechender Behutsamkeit hineinpassen.

Gleich zwei Siegerprojekte des Großen Preises für Alpine Architektur sind heuer zu vermelden. Wenig überraschend ist eines davon das bereits viel publizierte, außergewöhnliche Thermalbad des Schweizer Architekten Peter Zumthor in Vals in Graubünden. Die zweite Auszeichnung ging ebenfalls nach Graubünden, und zwar an den Traversiner Steg des Schweizer Bauingenieurs Jürg Conzett.

Wider die Ausbeutung

"Die Natur der Alpen ist eine Natur, die ihre Bewohner über Jahrhunderte hinweg gestalteten, bis sie zu der europäischen Kulturlandschaft wurde, die wir kennen", so heißt es im Ausstellungstext.

Tatsächlich waren älplerische Neubauten in der jüngeren Vergangenheit eher ein Synonym für architektonische Absonderlichkeiten, um nicht zu sagen: Scheußlichkeiten. Doch weht seit geraumer Zeit ein starker Gegenwind durch die Alpentäler. Eine ganze Generation hervorragender Planer hat sich, auch in Österreich, gegen die touristische Traditionsausbeutungs- und damit Traditionsvernichtungsunkultur gestemmt und älplerisch-eigenständig Zeitgenössisches entwickelt.

Von den 29 hier gezeigten Projekten stehen zehn in den heimischen Bergen, etwa Margarethe Heubacher-Sentobes schönes, strenges Haus für einen Pianisten in Weerberg, Tirol, Helmut Reitters elegante Sporthalle in Zell am Ziller, ebenfalls Tirol, und Leopold Kaufmanns konstruktiv-innovative und gleichzeitig malerische Golmerbahn im vorarlbergischen Montafon.

Während die Vereinten Nationen das Jahr 2002 zum Jahr der Berge ausgerufen haben, begeht das Neue Bauen in den Alpen zugleich sein zehnjähriges Jubiläum. Der Große Preis für Alpine Architektur wurde 1999 von der kleinen Südtiroler Gemeinde Sexten gestiftet, er ist mit 10.000 Euro dotiert. "Theoretische wie historische Reflexionen über Grundsatzfragen der Architektur im Alpenraum" sol- len damit erörtert werden, schreibt Kurator Christoph Mayr Fingerle, denn zu einem umfassenden Verständnis von Architektur gehöre auch der Umgang mit der Landschaft.

Bruno Reichlin legte bei der Preisverleihung in Sexten noch eins drauf: "Was sie schön macht, ist die Kultur, die wir in die Dinge investieren, das macht sie für uns zu etwas Besonderem, sonst ist es einfach nur ein Haufen voller Steine, Holz und Glas, den man vielleicht auch noch irgendwie gebrauchen kann." Sicher aber keine Architektur. (DER STANDARD, Printausgabe, 11.7.2002)