Kaum ein Berufsstand ist so häufig mit der Reifebeurteilung von Jugendlichen befasst wie die Kinder- und Jugendpsychiater und -psychologen. Der Bogen reicht dabei von der oft schwierigen Altersfeststellung (etwa bei Flüchtlingswaisen) bis zur Beurteilung der Strafmündigkeit. Was aber versteht der Gesetzgeber eigentlich unter "Reife", wenn er deren angeblichen "Mangel" dem geplanten Missbrauchsparagrafen für 14-16-Jährige zugrunde legt und damit der Justiz die Kompetenz zumutet, "Reifeprüfungen" abzuhalten? Jedes Gesetz ist so gut, wie es allgemein verständlich, also für den Bürger nachvollziehbar ist. Wenn man erst Sachverständige zu seiner Deutung bemühen muss, ist es im wahrsten Sinne des Wortes sinnlos. Gesetze sind schließlich für den Bürger da und nicht der Bürger für den Gesetzgeber - wenngleich sich in letzter Zeit oft der gegenteilige Eindruck aufdrängt. Überträgt man also die Reifebeurteilung einem Laien - und in dieser Frage ist der Richter ein Laie - muss es vollkommen einsichtig formuliert sein. Davon kann aber im gegenständlichen Fall nicht die Rede sein. Sehen wir uns doch einmal die gesellschaftlichen Reifekriterien an: Da ist einmal der Schnittpunkt der Schulreife. Ein Kind gilt als reif, wenn es das sechste Lebensjahr vor dem 31. 8. des laufenden Jahres erreicht hat. Die katholische Kirche wiederum bemisst die Reife nach dem Erkenntnisstand eines ca. achtjährigen Kindes, das imstande sein muss, die Verwandlung des ungesäuerten Brotes in den Leib Christi von jenem Brot zu unterscheiden, das zur leiblichen Ernährung dient. Die österreichische Verkehrsordnung befindet ein Kind mit 12 Jahren für reif genug, sich per Fahrrad durch den Straßenverkehr zu bewegen. Noch nie aber habe ich vom Zuchtmeister der ÖVP-Fraktion gehört, dass er dieses Reifealter wegen Gefährdung der Jugend um zwei Jahre anheben möchte. Warum eigentlich nicht - bedrohen Verkehrsunfälle etwa nicht die Gesundheit der Kinder? Vergessliche Partei Mit 14 Jahren schließlich ist man strafmündig und muss Recht von Unrecht unterscheiden können. (Bemerkung am Rande: Ich erinnere mich noch deutlich an die Debatten der stimmenstärksten Koalitionspartei, als diese im zweiten Jahr ihrer Amtszeit das Strafmündigkeitsalter auf 12 (!) Jahre senken wollte ...) Reife wird nach dem Gesetz also danach definiert, ob man die Unrechtmäßigkeit einer Tat erkennen und dieser Einsicht gemäß handeln kann - was die Fähigkeit voraussetzt, sinn- und planvoll vorauszudenken und so die Tragweite seines Tuns abzuschätzen. All das will man künftig den 14- 16-Jährigen absprechen. Gut so! Dann setzen wir aber bitte auch gleich das Mündigkeitsalter mit 16 Jahren fest, verlängern wir die Schulzeit und senken so die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen! Fatale Konsequenzen Und wenn wir schon beim Ändern sind: Wie wäre es mit einer Verkürzung des Jugendlichenalters auf zwei Jahre - also: von zwei bis sechzehn unmündig und ab achtzehn großjährig? Völlig neue Perspektiven tun sich auf! Faktum ist: Bisher konnten sich misshandelte und/oder missbrauchte Jugendliche bei Nötigung, Vergewaltigung und Ausnützung eines Autoritätsverhältnisses selbst oder mit Beihilfe eines Erwachsenen an die Exekutive wenden. Als Konsequenz des neuen Sexualrechts wird Selbstbestimmung durch Fremdbestimmung abgelöst: In Hinkunft entscheiden die Eltern (und dann gegebenenfalls die Richter), ob ihre Kinder reif genug sind, ihr Intimleben selbst zu steuern. Ich bin jedenfalls sehr gespannt, wie in Hinkunft die Rechtsprechung funktionieren wird: Werden in Hinkunft alle Mütter unter 16 ihre Partner vor den Kadi bringen? (Es sei denn, man glaubt an die Jungfernzeugung.) Werden vermehrt heimliche Abtreibungen stattfinden, um den Liebespartner vor Verfolgung durch Eltern und Justiz zu schützen? Wird das Primat des Kindeswohls künftig wieder der Erziehungsgewalt in Form elterlicher Bevormundung (welch unsäglicher Begriff!) unterworfen? Ich kann nur dringend raten, den selbst ernannten Experten in Fragen der körperlichen, intellektuellen, emotionalen und sozialen Reife Einhalt zu gebieten - und sich stattdessen auf das zu konzentrieren, was wirklich Not tut: die Gestaltung eines Ausbeutungsgesetzes für alles, was mit Prostitution von Minderjährigen zu tun hat - dann aber bitte unter Einbeziehung von (wirklichen) Experten.