München - "Filmautor ist, wer Beobachtetes rekreiert", schrieb Frieda Grafe einmal in Bezug auf die Regisseure der Nouvelle Vague, die sich das Kino zuerst häufig schreibend erarbeiteten, bevor sie begannen, selbst Filme zu drehen.

Den Satz könnte man ohne weiteres auch über Grafes eigene Texte stellen, die einem Filme beschreibend erschlossen, aufblätterten, in ein Netzwerk von (außerfilmischen) Bezügen stellten - und die nicht zuletzt auch immer ihre Autorin und deren Intentionen präsent hielten: "Einen eigenen Blick haben, eine eigene Perspektive, und Bilder machen können, die identifizierbar sind, von Vorgängen, die bis dahin der Darstellung sich entzogen. Dinge konstruieren, die mehr sind als bloß Häuser, in denen man wohnt" (über Fritz Lang).

Frieda Grafe war und bleibt ein feste Größe der deutschsprachigen Filmpublizistik. In der Zeitschrift mit dem schlichten Titel filmkritik, die ihr Lebenspartner Enno Patalas Ende der 50er-Jahre mitbegründete, erschienen in den 60er-Jahren ihre ersten Texte. Einen anderen wesentlichen Beitrag leistete Grafe, die Germanistik und Romanistik studiert hatte, dort mit ihrer Übersetzungstätigkeit von Texten französischer Autoren - auch auf diese Weise arbeitete sie daran, das Gesichtsfeld derer zu erweitern, die im Kino, in Filmen mehr sehen (und denken) wollten als flüchtige Bilder.

Später übersetzte sie Godard, Truffaut, Bunuel, Renoir und andere ins Deutsche. Zwei Jahrzehnte lang schrieb Frieda Grafe regelmäßig für die Süddeutsche Zeitung , unter anderem ihre legendären Filmtipps. Außerdem erschienen ihre Texte in der Zeit , gestaltete sie Rundfunkbeiträge, verfasste Bücher. Auch Wien war sie als Autorin, Kuratorin und Vortragende über viele Jahre verbunden. Am Mittwoch ist Frieda Grafe nach langer Krankheit in München gestorben. (irr/DER STANDARD, Printausgabe, 12.7.2002)