Sieht so die Welt aus, in der Philosophen Anregung finden? In seinem Haus aus Tuffstein sitzt Joachim Koch am Computer. Das Radioprogramm der Nachbarn kann er ebenso laut mitverfolgen wie deren Diskussionen über die Fußball-WM. Die engen Gassen setzen der Privatsphäre gewisse Grenzen. Doch hier sind die Menschen freundlich, die Mieten billig, die einzige Trattoria gut.
Natürlich interessierten sich die Bewohner für den Neubürger, der sich mit seiner schwangeren Frau in einem der alten Häuser eingemietet hat. Der Dorfpolizist, der die meldeamtlichen Daten einholte, wusste bald Näheres zu berichten: Der Mann habe einen deutschen Pass und sei Philosoph, seine Frau Lara Malerin. Für einen Ort wie Barbarano durchaus Anlass für ausgiebige Gespräche. Mit der Feststellung "Eigentlich sind wir ja alle Philosophen" wurden beide freundlich aufgenommen.
Sechs bis sieben Stunden sitzt Koch täglich am Computer. Er betreibt im Alleingang die Internetseite Philosophers today. Sie gibt Auskunft über alle aktuellen Aspekte und Publikationen zur Philosophie im In- und Ausland, enthält Tausende Adressen von Universitätsinstituten, Zeitschriften, Verlagen und Philosphen. Überleben kann Joachim Koch damit trotz der 170.000 Internetbesucher nicht.
Trost findet er in der Geschichte. "Philosophen hatten selten eine abgesicherte Existenz. Es ist ein eher brotloses Gewerbe", tröstet sich der 46-jährige Regensburger. Nach seiner Promotion hatte er sich noch wie "ein König ohne Reich" gefühlt. "Später habe ich begriffen, dass auch Bettelmänner ohne Reich sind", lacht er.
1983 eröffnete er in Hamburg eine philosophische Praxis - eine der ersten in Deutschland. Das Ziel: konkrete Lebensberatung. "Ich wollte beweisen, dass nicht nur die Psychologie brauchbare Antworten auf existenzielle Fragen geben kann", so Koch. Später gründete er mit einem Manager des Reemtsma-Konzerns eine Beratungsfirma für Unternehmer, die sich mit Markenphilosophie beschäftigte. Die beiden erarbeiteten Konzepte, um Verbrauchern eine Marke schmackhaft zu machen. "Unser Anspruch als Philosophen war es, ganzheitliche und umfassende Antworten zu geben", erzählt Koch. "Wir waren von der Politik enttäuscht und gaben uns der Illusion hin, die Wirtschaft halte konkretere Antworten auf die Fragen der Zeit bereit."
Doch die Hoffnung auf kompetenteres Handeln wurde bald enttäuscht. Auf der Suche nach neuen Herausforderungen übersiedelte Koch 1997 nach Rom und hielt sich mit Sprachunterricht über Wasser. Gleichzeitig begann er mit der Arbeit an einem umfangreichen philosophischen Werk. Jetzt liegt das bemerkenswerte Buch vor: Megaphilosophie - Das Freiheitsversprechen der Ökonomie.
Das Werk widerlegt die verbreitete (und nicht immer unbegründete) Überzeugung, philosophische Bücher seien für Normalverbraucher unverdaulich. Was sind Megaphilosophien? Für Koch jene geistigen Strömungen, die ganze Epochen prägen: Christentum, Aufklärung, Kommunismus. Wie entstehen und funktionieren sie? Wie beeinflussen sie Leben und Denken der Menschen? Diesen Fragen geht das Buch detailliert auf den Grund. Megaphilosophien, so Koch, erklären die Welt nicht, sondern definieren sie. Sie machen die Kirche, den Staat oder den Markt zur Wahrheit schlechthin.
Seine faktenreich untermauerte These: War es im Mittelalter die Theologie und seit der Aufklärung das wissenschaftlich-politische Programm der Vernunft, so ist es inzwischen die Ökonomie, die das Leben diktiert. Sie ist nicht nur angetreten, die Rolle der Politik zu übernehmen, sondern an der Seite der Psychologie auch zur maßgeblichen Definitionsmacht geworden: "Sie gibt vor, wie der Alltag auszusehen habe und prägt zugleich die Vorstellung davon, wie ihm zu entrinnen sei. Sie bestimmt die Art und Weise unseres Zusammenlebens und liefert die Muster für das, was wir unter Liebe verstehen. Sie dirigiert die Inhalte der Kultur und legt nicht zuletzt eine Ethik nahe, die kaum mehr so genannt werden kann." Auf 450 Seiten spürt der Autor der Frage nach, wie und warum Individuum und Gemeinwesen nahezu zwingend der Logik des Wirtschaftens folgen, Weltbilder und Utopien in die Warenproduktion eingehen, Marken zur Philosophie werden und staatliche Aufgaben zunehmend Privaten anvertraut werden.
Obwohl Joachim Koch das Kultbuch der Globalisierungskritik No logo nie gelesen hat, liefert er das philosophische Gegenstück zu Naomi Kleins Bestseller. Während Klein die Gängelung der Verbraucher durch die Konzerne schildert, beschreibt Koch, wie die "Megaphilosophie des Ökonomischen" ein neues Wertesystem schafft, dessen Logik Waren und Märkte sind.
Kein Bereich wird ausgespart: Kunst und Kultur, Liebe und Emotion, Arbeit und Freizeit, Idealismus und Ideologie. In der Trennung von Vernunft und Fantasie sieht Koch einen der Gründe für den Siegeszug der Ökonomie: "Durch die Schaffung einer zweiten Wirklichkeit kann sie in einer Scheinwelt agieren, die nichts mit ihrem tatsächlichen Tun gemein haben muss. Sie kann alle Ideologien bedienen, ohne auch nur eine von ihnen ernst nehmen zu müssen oder gar in den Verdacht zu geraten, sie habe etwas mit ihnen zu schaffen." So werden Traumwelten bedient und uneingelöste Versprechen dem persönlichen Versagen des Einzelnen zugeschrieben.